Veranstaltungen


Wintersemester 2009/10


Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger


Masterseminar / Oberseminar: Der Dreißigjährige Krieg in Bildquellen (A3, B1-5)

Raum & Zeit: DO 10:00-12:00 Uhr, S 104 (Ü 108) Fürstenberghaus
Beginn: 22.10.2009
In letzter Zeit haben die Historiker Bilder als Quellen entdeckt, die auf ihre Weise ebenso aussagekräftig, aber auch ebenso schwierig zu "lesen" sind wie Textquellen. Bilder bilden die Realität nicht einfach ab, sondern konstituieren eine Realität eigener Art; sie sind Bestandteile vergangener und gegenwärtiger Kommunikationsprozesse. Gerade anhand der Bilder aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges lasst sich das exemplarisch studieren, denn diese Zeit hat eine besondere Fülle ganz unterschiedlicher Bilder hervorgebracht, die suggestiv für eine der Konfliktparteien Partei ergreifen, dem Wunsch nach Frieden Ausdruck geben oder deren Botschaft weniger eindeutig zu entschlüsseln ist. In der Übung soll anhand ausgewählter Beispiele aus der Bildpublizistik, aber auch der Malerei danach gefragt werden, wie mit diesen Medien als historischen Quellen umzugehen ist und was sie über Textquellen hinaus über die Epoche verraten. - Jeder Teilnehmer/jede Teilnehmerin soll - kurz! - ein selbstgewähltes Beispiel vorstellen, das dann gemeinsam im Seminar analysiert wird
Literatur: Peter Burke, Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Frankfurt/Main 2003; Michael Schilling, Bildpublizistik der Frühen Neuzeit, Tübingen 1990; Bußmann, Klaus / Schilling, Heinz, Hg., 1648: Krieg und Frieden in Europa, Katalog zur 26. Europaratsausstellung in Münster/Osnabrück 24.10.1998-17.01.1999, 2 Bde., Münster 1998. - Silvia Serena Tschopp, Heilsgeschichtliche Deutungsmuster in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges. Pro- und antischwedische Propaganda in Deutschland 1628 bis 1635, Frankfurt/M. u.a. 1991; Quellensammlung: Wolfgang Harms, Hrsg., Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Kommentierte Ausgabe, Tübingen 1980ff.
Materialien: Die Materialien für das Seminar sind ab sofort auf Learnweb unter dem gleichnamigen Titel einsehbar. Das Passwort findet sich im Titel wieder.


Kolloquium: Forum Gesellschaftliche Symbolik

Raum & Zeit: Mi 18-20, J 12, Johannisstr. 1-4
Beginn: siehe Aushang
Im Namen der Projektleiter/innen des SFB 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ lädt Prof. Stollberg-Rilinger zum Kolloquium. Vortragende sind auswärtige Gäste anderer, deutscher und europäischer Universitäten und Forschungseinrichtungen. Das Programm wird zu Beginn des Semesters auf den entsprechenden Homepages bekannt gegeben.


Matthias Bähr M.A.


Übung: „Proceß-Lust“ im Alten Reich? Untertanenprozesse vor dem Reichskammergericht (A3, B2-4)

Raum & Zeit: Mi 16-18 S 041 (F 7) Fürstenberghaus
Beginn: 14.10.2009
Der berühmte Reichspublizist Johann Jacob Moser war sich in den 1770er Jahren sicher: Die „Proceß-Lust“ einiger weniger Untertanen würde die Reichsgerichte von ihrer Arbeit abhalten und ganze Gemeinden finanziell ruinieren. Tatsächlich waren im 18. Jahrhundert „Klagen zwischen den mittelbaren Reichsunterthanen und ihrer Landes-Obrigkeit“ (Heinrich v. Schelhaß) so häufig, dass sie beißenden Spott auf sich zogen: Tag für Tag sehe man die Untertanen scharenweise bei Gericht, und im ganzen Reich gebe es kaum ein Dorf, das nicht mit seiner Herrschaft im Streit liege. Schon allein die Tatsache, dass es im Alten Reich der Frühen Neuzeit eine Instanz gab, die Rechtsschutz gegen obrigkeitliche Willkür bot, ist bemerkenswert. Die Gebrechen, an denen das Reichskammergericht – eines der beiden höchsten Reichsgerichte – seit seiner Errichtung litt, bestimmen allerdings bis heute das populäre Geschichtsbild: Jahrzehntelange Verfahren und die vergleichsweise geringe Urteilsautorität lassen an die sprichwörtliche „lange Bank“ denken. Die Übung wird danach fragen, warum der Gang zu Gericht dennoch eine Alternative zu traditionellen Austragungsmodi von Widerstand sein konnte. Was konnte der Rechtsweg bieten, was Fronlässigkeit, Abgabenverweigerung oder Gewalt nicht bieten konnten?
Literatur: Werner Troßbach, „Widerständige Leute“? ‚Protest‘ und ‚Abwehrverhalten‘ in Territorien zwischen Elbe und Oder 1550-1789, in: Markus Cerman / Robert Luft (Hg.): Untertanen, Herrschaft und Staat in Böhmen und im „Alten Reich“. Sozialgeschichtliche Studien zur Frühen Neuzeit, München 2005, S. 203-233; Rita Sailer, Untertanenprozesse vor dem Reichskammergericht, Köln u.a. 1999; Julia Maurer, Der „Lahrer Prozess“ 1773-1806. Ein Untertanenprozess vor dem Reichskammergericht, Köln u.a. 1996, Winfried Schulze, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1980.


Dr. Elizabeth Harding


Übung: Soziale Ungleichheit in der Stadt der Frühen Neuzeit (A3, B1-4)

Raum & Zeit: Do 16-18 S 153 (F 3) Fürstenberghaus
Beginn: 15.10.2009
Die Gesellschaft der Vormoderne ging von einer göttlich legitimierten Ungleichheit ihrer Mitglieder aus. In der frühneuzeitlichen Stadt äußerte sich die gesellschaftliche Hierarchie in unterschiedlichen, nicht selten zeremoniell aufgeladen oder zumindest (halb-)öffentlich praktizierten Grenzziehungen, die im Rahmen der Übung erarbeitet werden sollen. Dabei wird der Blick zum einen auf die internen Organisationsformen städtischer Korporationen gerichtet werden. Zum anderen gilt es die Grenzziehung der städtischen Gemeinschaft gegenüber Randgruppen zu thematisieren. Am Beispiel unterschiedlicher Stadttypen werden zugleich die Folgen dieser Praktiken für die jeweiligen Sozialformationen sowie die Möglichkeiten der sozialen Mobilität diskutiert werden.
Anmeldung bis zum 01.10.2009 per email an: eharding@uni-muenster.de
Erste Literaturhinweise: Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit, Berlin 1998; Ulrich Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; Horst Carl/ Patrick Schmidt (Hg.), Stadtgemeinde und Ständegesellschaft. Formen der Integration und Distinktion in der frühneuzeitlichen Stadt, Berlin / Münster 2007.


Dr. André Krischer


Hauptseminar II: Macht und Herrschaft. Grundkategorien in der Europäischen Geschichte der Neuzeit (A3)

Raum & Zeit: Mi 10-12 S 3 (Ü 5) Fürstenberghaus
Beginn: 14.10.2009
Anmeldelisten liegen im Sekretariat des Lehrstuhls Neuere und Neueste Geschichte I (F-Haus, Raum 140) aus: vom 06.-17.07. (1.Termin) und vom 05.-09.10. (2. Termin)
Macht und Herrschaft gehören zu den zentralen Begriffen der Historiker. Gleichzeitig werden beide Begriffe häufig von einem Alltagsverständnis konturiert. Tatsächlich jedoch sind Macht und Herrschaft extrem differenzierte Begriffe mit einer langen Tradition. Im Seminar sollen daher zum einen moderne Klassiker des Machtbegriffs von Max Weber über Michel Foucault bis Niklas Luhmann gelesen werden. Zum anderen wird es um die historische Semantik der Begriffe von Machiavelli über Hobbes bis Hegel gehen. Dabei ist auch darauf zu achten, welche Leistung gerade auch Begriffe und diskursive Formationen zur Ausbildung moderner Staatlichkeit in der Frühneuzeit leisteten.
Ein Reader mit sämtlichen Texten und Quellen sowie einer Bibliographie der Sekundärliteratur kann bei der Anmeldung erworben werden. Diese findet statt am 05.10.2009 um 10 s.t. im Leibnizprojekt, Hittorfstrasse 17, 48149 Münster. Die Teilnehmerzahl ist auf 35 begrenzt. Ich bitte um eine Voranmeldung am 08.10.09 unter krischer@uni-muenster.de.


Übung: Die Politischen Sprachen im England des 17. Jahrhunderts. Common Law, Theologie und Souveränitätstheorien (A3, B3)

Raum & Zeit: Mi 16-18 S 040 (F 8) Fürstenberghaus
Beginn: 14.10.2009
Das Konzept der ‚Politische Sprachen’ geht auf die Historiker John Pocock und Quentin Skinner zurück und wird derzeit auch in der deutschsprachigen Historiographie intensiv rezipiert. Mit dem Konzept verbunden ist die Auffassung, dass Sprache selbst ein politisches Instrument darstellt, mit dem buchstäblich gehandelt werden konnte. Dazu bedurfte es jedoch einer spezifischen Formierung der Sprache durch Rhetorik sowie durch bestimmte Formen mündlicher und schriftlicher Performanz. Solche Faktoren hat die ältere geistes- und philosophiegeschichtliche Tradition immer als lästiges Beiwerk ignoriert und versucht, beispielsweise Thomas Hobbes Kontext entbunden zu interpretieren. Das Politische-Sprachen-Konzept hingegen versucht, z.B. Souveränitätstheorien wieder in ihrem historischen Zusammenhang zu verstehen. In der Übung sollen zunächst die grundlegenden Theorien der Politischen Sprache gelesen werden. Als Beispiel für einen besonders aufschlussreichen Zusammenhang von Politik und Sprache (den auch Skinner immer im Auge hatte) soll dann England im 17. Jahrhundert untersucht werden. In der Übung wird es keine Referate geben. Die Teilnehmer sind vielmehr dazu aufgefordert, sich intensiv mit den überwiegend englischsprachigen Texten zu befassen und zu jeder Sitzung aktiv beizutragen.
Ein Reader mit sämtlichen Texten und Quellen sowie einer Bibliographie der Sekundärliteratur kann bei der Anmeldung erworben werden. Diese findet statt am 05.10.2009 um 11 st im Leibnizprojekt, Hittorfstrasse 17, 48149 Münster. Die Teilnehmerzahl ist auf 35 begrenzt. Ich bitte um eine Voranmeldung am 08.10.09 unter krischer@uni-muenster.de.


Tim Neu, M.A.


Übung: „Pax sit Christiana, Universalis, perpetua“. Der Westfälische Friede (A3, B2-4)

Raum & Zeit: Mo 12-14 H 18 Johannisstr. 12
Beginn: 12.10.2009
Am Ende des Dreißigjährigen Krieges steht der Westfälische Friede, so kann man es in jedem Lexikon nachlesen. Aber die terminologische Eindeutigkeit bringt allzu leicht die Vielschichtigkeit der historischen Phänomene und Zusammenhänge zum Verschwinden, die mit diesen Begriffen bezeichnet werden. Schon während der drei Jahrzehnte währenden Folge von Kriegen hatten sich die unterschiedlichen Ziele und Zwänge der Kontrahenten zu einem scheinbar unlösbaren Problemkomplex verbunden. Die einzige Möglichkeit, in einer solch unübersichtlichen Situation Frieden zu schaffen, lag in einem ebenso komplexen – und damit auch komplizierten – Verhandlungsprozess: zwei Verhandlungsorte, fünf Jahre Dauer und insgesamt 82 Gesandtschaften. Mehr noch, die Verhandlungen waren gleichzeitig europäischer Friedenskongress, Verfassungskongress für das Alte Reich und Kongress der Religionsparteien. Und am Ende stand ein Vertragswerk von über 100 Druckseiten, das von Universalformeln („immerwährendes Vergessen und Amnestie“) bis hin zu konkreten Einzelfallbestimmungen (Rückerstattung des Schlosses Breuberg) alle Mittel des juristischen Sachverstandes aufbot. An den Verhandlungen und Verträgen von Münster und Osnabrück werden somit Grundtatsachen und -entwicklungen der Neueren Geschichte erkennbar. Ausgehend von einem strukturellen Überblick wird das Seminar den Friedensprozess aus ganz unterschiedlichen, etwa rechts-, kultur- und rezeptionsgeschichtlichen Perspektiven betrachten, um die Komplexität des Geschehens handhabbar zu machen.
Anmeldung erforderlich: tim.neu@uni-muenster.de
Literatur: Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, hrsg. von Konrad Repgen, 7. Aufl., Münster 1998; Derek Croxton / Anuschka Tischer, The Peace of Westphalia. A Historical Dictionary, Westport, Conn./London 2002. Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, München 1998; Klaus Bußmann / Heinz Schilling (Hrsg.), 1648 – Krieg und Frieden in Europa, Textband 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, Münster 1998 (URL: http://www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfaelischer_Friede/dokumentation/ausstellungen/systemat_verz/index2_html)


PD Dr. Michael Sikora


Vorlesung: Der Dreißigjährige Krieg (A3, B1-5)

Raum & Zeit: Mi 10-12 , S 9 (Schloss)
Beginn: 14.10.2009
Der Dreißigjährige Krieg ist eine der ganz großen Krisen der europäischen Geschichte. Viele Spannungsfelder, die sich teilweise schon seit vielen Jahrzehnten aufgeladen hatten, verknüpften sich zu einem verheerenden Gewaltpotential. Die Komplexität der sich übekreuzenden Konfliktlinien machte die Beendigung dieser Katastrophe zu einer schier unlösbaren Aufgabe. Dabei ging es nicht nur um die Verschiebung von Grenzen und Einflußzonen; es ging darüber hinaus um die Verwicklung und Entflechtung von Religion, Macht und Verfassung. Aber schon die permanente Mobilisierung aller Machtmittel an sich veränderte und intensivierte die Strukturen von Herrschaft. Die Kriegführung war, trotz allem Bemühen um technischen und taktischen Fortschritt, geprägt von der ständigen Überforderung militärischer Organisationen. Wie zufällig wälzten sich die Heere durch Mitteleuropa, verschonten die eine Region und verheerten die andere. Die Menschen, ob Soldaten, Städter oder Bauern, gerieten immer wieder in den Strudel von Not und Gewalt, Verzweiflung und improvisierten Überlebensstrategien. Nicht zuletzt hat daher dieser Krieg tiefe Spuren hinterlassen in den Seelen der Menschen und im kollektiven Bewußtsein gerade der Deutschen. Die Vorlesung folgt dem Ziel, den unterschiedlichen Dimensionen dieses komplexen Geschehens gerecht zu werden, sie dabei aber auch auseinanderzulegen und begreifbar zu machen.
Einführende Literatur: Geoffrey Parker: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a. M. 1987; Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a. M. 1992; Gerhard Schormann: Der Dreißigjährige Krieg, in: Gebhardt. Handbuch der der Deutschen Geschichte, 10. Aufl., Band 10, hrsg. von Wolfgang Reinhard, Stuttgart 2001, 207-279; Christoph Kampmann: Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg, Stuttgart 2008.

Hauptseminar II: Eine Welt im Krieg. Quellen zur Alltagsgeschichte des Dreißigjährigen Krieges (A3, B2,3)
Raum & Zeit: Di 10-12, S 2 (Schloss)
Beginn: 13.10.2009
Anmeldelisten liegen im Sekretariat des Lehrstuhls Neuere und Neueste Geschichte I (F-Haus, Raum 140) aus: vom 06.-17.07. (1.Termin) und vom 05.-09.10. (2. Termin) Der Reiz einer Alltagsgeschichte des Krieges besteht nicht so sehr darin, der Welt der großen Diplomatie die Welt der kleinen Leute gegenüberzustellen. Es geht vielmehr darum zu verfolgen, welche Strukturen des Lebens sich entwickeln, wenn der Krieg alle gewohnten Strukturen zu erschüttern scheint. Das betrifft sowohl die Erfahrungen, die der Krieg den Menschen aufnötigt, als auch die Praktiken, die das materielle Überleben sichern sollen, als auch die Muster, mit denen der Krieg wahrgenommen und gedeutet wird. Furcht und Gewalt, Frömmigkeit und Gleichgültigkeit werden nebeneinander gelebt und ermöglichen ganz verschiedene Weisen, mit dem Kriegsgeschehen fertig zu werden. Nicht zuletzt sind daraus auch zahlreichen Chroniken und Akten entstanden, die in einigen Fällen gedruckt zur Verfügung stehen. Auf dieser Grundlage sollen im Seminar möglichst dichte Zugänge zum Alltag im Krieg gewonnen werden. Dabei wird man sich, wie immer, auch damit auseinanderzusetzen haben, was und in welcher Weise überhaupt aus dem Krieg berichtet worden ist.
Zur Einführung:
Herbert Langer: Hortus bellicus. Der Dreißigjährige Krieg – Eine Kulturgeschichte, Leipzig 1978 u. ö.; Benigna von Krusenstjern, Hans Medick (Hrsg.): Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1990; Frank Kleinehagenbrock: Die Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg. Eine erfahrungsgeschichtliche Untersuchung zu Herrschaft und Untertanen, Stuttgart 2003.

Masterübung: Strukturen und individuelles Handeln
Raum & Zeit: Mo 14-16
Beginn: 12.10.2009
Wer historische Ereignisse und Prozesse erklären will, sieht sich am Ende immer mit dem Handeln von Menschen konfrontiert. Warum aber Menschen in dieser oder jener Situation so oder so handeln, das entzieht sich oft den großen und kleinen Erklärungsversuchen. Selbst dem emsigsten Biographen, der alle Einzelheiten eines Lebenslaufs zusammenträgt, stehen letztlich nur Bruchstücke gegenüber, zwischen denen er extrapolieren muß. Führt also kein Weg daran vorbei, sich dann doch einfühlen zu müssen? Ein Ausweg schien es zu sein, im Sinne der historischen Sozialwissenschaft so viel Abstand zu gewinnen, daß die Menschen auf statistische Größen reduziert werden konnten. Eine solche Geschichte drohte jedoch nicht nur über die Menschen hinweg geschrieben zu werden, sie kann auch nicht die Auseinandersetzung mit menschlichem Handeln ersetzen, wo immer man dann doch genauer hinschauen will und muß. Das macht ja die Anwendung gesellschaftstheoretischer Modelle noch nicht unsinnig, man muß nur auch ihre Grenzen reflektieren. In diesem Sinne wollen wir in der Übung darüber nachdenken, wie wir mit der Kontingenz menschlichen Handelns in der Geschichte umgehen können. Zu diesem Zweck sollen theoretische Angebote diskutiert werden, die die Interdependenz zwischen individuellem Handeln und strukturellen Bedingungen näher zu bestimmen versuchen. Die entscheidende Meßlatte muß die praktische Anwendbarkeit auf biographische Probleme sein. Am Ende haben wir dann hoffentlich präzisere Modelle und Argumente gewonnen, um mit Ungewißheiten umgehen und Plausibilitäten begründen zu können.
Literatur: Hans Erich Bödeker: Biographie. Annäherungen an den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand. In: Ders. (Hrsg.): Biographie schreiben. Göttingen 2003. S. 9-63; Marian Füssel, Die Rückkehr des Subjekts in der Kulturgeschichte. Beobachtungen aus praxeologischer Perspektive, in: Stefan Deines / Stephan Jaeger / Ansgar Nünning (Hg.): Historisierte Subjekte - Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, Berlin 2003, S. 141-159; Philipp Sarasin: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, in: Ders., Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M. 2003, S. 10-61; Otto Ulbricht, Aus Marionetten werden Menschen. Die Rückkehr der unbekannten historischen Individuen in die Geschichte der Frühen Neuzeit, in: Erhard Chvojka/Richard van Dülmen / Vera Jung (Hgg.), Neue Blicke. Historische Anthropologie in der Praxis, Wien u.a. 1997, S. 13-32.