Einführungen in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
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GENERATIONENBEZIEHUNGEN IN STEINZEITGESELLSCHAFTEN, AGRARISCH GEPRÄGTEN GESELLSCHAFTEN UND WOHLFAHRTSSTAATEN

(ml) Diese –sehr grob eingeteilten- sozialen Organisationsformen können sowohl in ihrer historischen Entwicklung als auch im Querschnitt, also zu einem Zeitpunkt (z.B. heute), betrachtet werden. Der grundlegende Unterschied liegt darin, dass heutige Steinzeit- und agrarisch geprägten Gesellschaften sich von früheren dadurch unterscheiden, dass sie mindestens potentiell in Kontakt zu Wohlfahrtsstaaten und anderen gesellschaftlichen Organisationsformen stehen können, die es zum Zeitpunkt des historisch ersten Auftretens von Steinzeitgesellschaften und sesshaften Agrargesellschaften noch nicht gab. Die meisten Erkenntnisse über die Generationenbeziehungen in diesen Gesellschaftsformen sind aus anthropologischen, ethnologischen, demographischen und wirtschaftswissenschaftlichen Beobachtungen heute vorkommender solcher Gesellschaften gewonnen und auf die Erforschung (prä-) historischer Gesellschaften übertragen worden.

Unter dem Begriff "Steinzeitgesellschaften" werden i.d.R. Gruppen von Jägern und Sammlern zusammengefasst, die nebenbei verschiedene Arten extensiver Landwirtschaft betreiben können. Man definiert sie üblicherweise über die von ihnen hergestellten und benutzen Werkzeuge als Gesellschaften, die vorgefundene Materialien auf einfache Weise zu Werkzeugen (z.B. Steine zu Axtköpfen) formen, die also z.B. nicht über Kupfer-, Bronze- oder Eisenverarbeitungskenntnisse verfügen. Entsprechend dem Entwicklungsstand der Werkzeuge unterscheidet man innerhalb der Steinzeit üblicherweise eine paläolithische, eine mesolithische und eine neolithische Epoche.
Produktion und Konsum von Steinzeitgesellschaften sind in hohem Maße von den Umweltbedingungen abhängig. Marshall Sahlins stellt für paläolithische Gesellschaften fest, dass sie in hohem Maße durch die Erfahrung sinkender (Grenz-)Erträge (ein großer Anfangsertrag zieht geringere Folgeerträge nach sich) gekennzeichnet sind. Diese folgt daraus, dass eine Gruppe, die in einem Camp zusammenlebt, relativ schnell die Ressourcen der unmittelbaren Umgebung verbraucht und nun entweder bei demselben Aufwand mit weniger Erträgen zurechtkommen oder für dieselben Erträge größeren Aufwand (weitere Wege) auf sich nehmen muss. Will eine Steinzeitgesellschaft also ihren Lebensstandard aufrecht erhalten, so muss sie sich ständig von einem Ort zum anderen bewegen. Dies führt allerdings dazu, dass „Besitz“ in Form von Kleidung, Werkzeugen, Schmuck, etc. ständig transportiert (getragen) werden muss und daher gering gehalten wird (auch hier werden also abnehmende Grenzerträge unmittelbar spürbar). Nach Sahlins wird dieses Besitztransportierbarkeitskriterium auch auf Menschen angewandt, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu tragen und zu ernähren. Sie können dann zurückgelassen werden (wobei alte Menschen schwerer sind als Kinder). Nur so ist Steinzeitgesellschaften ein Überleben im Einklang mit der Natur und den in Reichweite verfügbaren Ressourcen für ihre Gruppe möglich.
Im Laufe der prähistorischen Steinzeit (Mesolithikum, Neolithikum ab 9. Jahrtausend v. Chr, in Mitteleuropa ab ca. 6.000 bis 1.800 v. Chr.) verbessern sich allerdings die Werkzeuge: an die Stelle von Faustkeilen treten Äxte, Beile, Keulen, Keramik und Bögen. In der Jungsteinzeit leben die Menschen bereits in mehrjährig bewohnten Häusen und bauen extensiv verschiedene Kulturpflanzen an und halten domestizierte Haustiere. Dieser Sesshaftwerdungsprozess, der deutlich den Schwerpunkt der Lebensunterhaltssicherung auf Landwirtschaft, die mit Pflug und Zugtier betrieben wird, verlegt, wird als die „Neolithische Revolution“ bezeichnet. An das Neolithikum schließt sich die Bronzezeit an.

Literatur: Marshall Sahlins, Stone Age Economics (London: Tavistock, 1974).

Agrarisch geprägte Gesellschaften

Ein solch weit gefasster Begriff bezeichnet prinzipiell alle auf Landwirtschaft basierenden Gesellschaften seit der "neolithischen Revolution", die hauptsächlich traditionelle Anbaumethoden zur Selbstversorgung nutzen, obwohl auch eine gewisse Ausrichtung des Anbaus auf Märkte hin vorhanden sein kann. Der Begriff impliziert ferner, dass wegen geringer Anbaufläche pro Kultivierer, weitgehend statischer Technologien und geringer Kapitalisierung die meisten Bauern geringe Einkommen und einen geringen Lebensstandard haben. Konzeptionell werden ferner "tribal societies", weitgehend auf sich selbst beschränkte Stammesgesellschaften, und "peasant societies", die in einen größeren Kontext von Markt (Anbau auch von kommerzialisierbaren Agrargütern, die nicht der eigenen Ernährung dienen, sondern für den Verkauf bestimmt sind) und /oder Herrschaft (z.B. Feudalismus) eingebunden sind, unterschieden.
Im Gegensatz zu Steinzeitgesellschaften ist ihr Weltbild nicht mehr unmittelbar von der Vorstellung sinkender Erträge dominiert. Die Seßhaftigkeit beraubt das Transportierbarkeitskriterium seiner zentralen Bedeutung und erlaubt, mehr zu besitzen als man tragen kann. Dennoch ist im allgemeinen davon auszugehen, dass die landwirtschaftlichen Erträge in Agrargesellschaften gerade ausreichen, das Überleben zu sichern. Die Forschung hat dafür den Begriff Subsistenzökonomie geprägt, der aussagt, dass Wirtschaften nicht zum Zwecke der Gewinnmaximierung, sondern zur Sicherung eines "angemessenen" Bedarfs betrieben wird.
Betrachtet man den idealtypischen Lebenszyklus eines Paares in einer Agrargesellschaft (vgl. Mueller, Value, S. 137-146), so produziert es in der Zeit nach der Hochzeit (ab etwa dem 20. Lebensjahr) mehr, als es zum Überleben braucht, womit eine stetig wachsende Kinderzahl aufgezogen werden kann. In den Jahren, in denen die Produktivität der Eltern altersbedingt nachlässt und die der Kinder im Durchschnitt noch gering ist (weil die meisten von ihnen noch nicht das Jugendalter erreicht haben), ist die Gefahr, dass die Produktion der Familie nicht ausreicht, ihre Subsistenz zu sichern, tendenziell am größten. Sobald mehr Kinder ins Jugendalter kommen, tragen diese zum Lebensunterhalt der Familie (besonders der jüngeren Geschwister) bei. Wenn die älteren zu heiraten beginnen und die jüngeren Jugendliche sind, besteht die Möglichkeit, dass letztere die Eltern, deren Produktivität nun nachlässt, unterstützen können, während erstere in der Regel bereits eigene Kinder zu versorgen haben.
Die Möglichkeit des Ruhestandes für die Eltern hängt also davon ab, ob und in welchem Maße die Kinder in der Lage sind, über den Eigenbedarf bzw. den Bedarf ihrer eigenen Familien hinaus Überschüsse zu erwirtschaften, bzw. ob und in welchem Maße es den Eltern in den Jahren höherer Produktivität möglich war, Rücklagen (z.B. Wertgegenstände, Vieh, Geld) zu bilden, die sie nun verbrauchen können. Da aber im allgemeinen in solchen agrarisch geprägten Gesellschaften keine großen Überschüsse zu erwarten sind, werden Eltern bis nah an ihr Lebensende heran arbeiten müssen, wobei möglich ist, dass ein Teil ihres Bedarfs durch Unterstützung von den Kindern gedeckt werden kann.

Literatur: Eva Mueller: The Economic Value of Children in Peasant Agriculture, in: Ronald G. Ridker (Hg.): Population and Development. The Search for Selective Interventions (Baltimore: The Johns Hopkins UP, 1976), S. 98-153; zitiert als: Mueller, Value.

Moderne Wohlfahrtsstaaten nach angelsächsischem und nordeuropäischem Modell sind durch die Auswirkungen der industriellen Revolution geprägt, die dazu geführt hat, dass der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft stark abgenommen hat, was dazu führte, dass nicht mehr Subsistenzwirtschaft, sondern entlohnte abhängige Arbeit im Rahmen arbeitsteiliger Produktion die Hauptquelle des Lebensunterhalts ist. Die Arbeitsteilung bedingt, dass ein Großteil der lebensnotwendigen Güter nicht mehr von jedem Individuum selbst produziert, sondern über Märkte gehandelt wird. Die mit der Industrialisierung einhergehende Kapitalisierung und Mechanisierung der arbeitsteiligen Produktionsprozesse hat ferner zu einem beträchtlichen Anstieg der Arbeitsproduktivität und damit auch der durchschnittlichen Einkommen geführt, die nunmehr in den Industrieländern weit mehr als nur das Überleben zu sichern vermögen. Damit ist zum einen individuelle, inter-temporale Daseinsvorsorge in Form von Sparen möglich, zum anderen können in weit größerem Maße Transfers zwischen verschiedenen Teilen der Bevölkerung stattfinden. Parallel zum Sozialstaat entstand nun das Konzept des Wohlfahrtsstaates, in dem bei der grundsätzlichen Ausgestaltung der Daseinsvorsorge und der Absicherung sozialer Grundrechte der Staat einen Vorrang vor der individuellen Eigenvorsorge genießt.
Für die intergenerationale Ressourcenumverteilung bedeutet dies, dass zwar die Unterstützung von Kindern weiterhin innerhalb der Familie durch ihre Eltern erfolgt, aber insbesondere die Altersvorsorge weitgehend auf staatliche Alterssicherungssysteme übertragen wurde. Da die Einkommen der Erwerbstätigen weit über dem zum Überleben notwendigen liegen, ist es nicht mehr notwendig, dass alle bis an ihr Lebensende arbeiten, so dass der Altersruhestand ohne große Lebensstandardeinbußen zum Normalfall wird. Die steigende Lebenserwartung hat dabei dazu geführt, dass, so Ronald D. Lee (Cross-Cultural Perspective, S. 54), in als Wohlfahrtsstaaten organisierten Industrieländern die Transfers von jüngeren an ältere die von älteren an jüngere überwiegen.

Literatur: Literatur Lee, Cross-Cultural Perspective.

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