Einführungen in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
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Alltagsgeschichte

2. Konsum: Das Beispiel des Wandels der Ernährung

2.2. ERNÄHRUNGSSYSTEME

nach unten 2.3.1. Von der traditionellen Geometrie zum eiligen Eklektizismus
nach unten 2.3.2. Gesundes und ungesundes Essen
nach unten 2.3.3. Macht - Männerlust und Frauenhunger

 

  2.3.1. Von der traditionellen Geometrie zum eiligen Eklektizismus  
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  1. Bedeutung regionaler Küchen bis ins frühe 20. Jahrhundert: Trotz Industrialisierung und Reduktion der Transportkosten blieben mindestens in ländlichen Gebieten und in der Arbeiterklasse regionale Speisen lange dominant: verschiedene Getreidesorten, Hülsenfrüchte, unterschiedliche Bedeutung von Milchprodukten (auch: Butter vs. Schweineschmalz) und Obst. Nahrhafte Speisen wie Fleisch und Weißbrot blieben stark mit sozialem Status und Männlichkeit verknüpft.
  2. Auflösung des Tagesrhythmus: Bis um 1960 blieb das Mittagessen Hauptmahlzeit. In Verbindung mit langen Kochzeiten von Getreidespeisen und Hülsenfrüchten ausgeprägtes Zelebrieren der Hauptmahlzeiten als familiäres Ereignis (geschlechts-/alters­spezifischer Konsum; Disziplin: Manieren, Esszwang). Danach nahm die außerhäusliche Verpflegung stark zu: Verbreitung der schon Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden Kantinen und Aufkommen von Schnellimbissen (um 1960 Wienerwald [Hähnchen], 1980er Jahre Hamburger, etc.). Durch vorgefertigte Mahlzeiten konnten Kochzeiten reduziert und Essgewohnheiten individualisiert werden (Abendbrot wird zum "TV-Dinner"). Essen wurde insbesondere in Unterschichten tendenziell zu einer eiligen, effizienten Angelegenheit.
  3. Assimilation neuer Speisen: Ab den 1960er/1970er Jahren gingen Speisen aus dem Umfeld der Ernährungsreformbewegung in die Ernährung der breiten Bevölkerung ein (Müsli, Vollwertbrot, Salat). Auch wurde Ethnoküche assimiliert (Tiefkühlpizza, Enchiladas, Nudeln, etc.). Eine größere Varietät entspricht verstärkter gesellschaftlicher Differenzierung nach Lebensstilen.
  2.3.2. Gesundes und ungesundes Essen  
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Die Ernährungsreformbewegung seit den 1890er Jahren sah die mangelhafte Volksgesundheit z. T. in Fehlernährung begründet und versuchte die traditionelle/spontane Ernährung durch eine ordentliche, wissenschaftliche Ernährung zu ersetzen.

Dabei erfolgte eine radikale Umkehr der traditionellen Geometrie: Statt vom Salzigen zum Süßen und vom Gekochten zum Rohen (Nachtisch: Käse/Früchte) wird etwa bei Bircher-Benner vom Süßen und Rohen (Vorspeise: Frucht) zum Gekochten fortgeschritten.

Die Bewegung war im frühen 20. Jahrhundert auf esoterische Gruppen beschränkt, erlangte aber ab den 1970er und 1980er Jahren Breitenwirkung über Eklektizismus.

  2.3.3. Macht - Männerlust und Frauenhunger  
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Frauen kochen allgemein, essen dagegen weniger als Männer. Das Ende der Konnotation Leibesfülle mit guter Ernährung und hohem Status in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts traf v.a. Frauen, die stärker als "arbeitende" Männer gesunde und effiziente Ernährung an ihrem Körper darzustellen haben: Mode-/Sexmodels wogen um 1960 rund 5%, um 1980 20% weniger als der Durchschnitt gleichaltriger Frauen. Davon ausgehend stieg der Disziplinierungsdruck auf Frauen (z. B. Verbreitung Diätkost) mit Anorexie als verbreitetem Phänomen unter jungen Frauen ab den 1980er Jahren.

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