Dalai Lama - Kontakte zur Wissenschaft

Der Dalai Lama hält seit vielen Jahren enge Kontakte zur Wissenschaft. Mit uns Wissenschaftlern teilt er die Neugier an den Zusammenhängen von Natur und Technik. Über die Anfänge dieser Neugier beim jungen Dalai Lama schreibt Wolf von Lojewski:
"Zu sein, zu werden wie er, ist wohl auf dieser Welt nicht wiederholbar: hinter hohen Bergen aufgewachsen, urplötzlich aus ärmlicher Umgebung herausgegriffen ..., von seinen Lehrern von früh bis spät unterrichtet in religiösen Lehren und Ritualen. Niemand bringt ihm bei, dass es Mathematik oder Naturwissenschaften überhaupt gibt. Und plötzlich findet er irgendwo in den tausend Zimmern seines Palastes ein Teleskop, einen Filmprojektor und eine Taschenuhr. Und so wie sein Leben wird auch sein Weg zur Wissenschaft zu einer ungewöhnlichen Reise. Er beginnt, die Uhr in Einzelteile zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen, mit kindlicher Neugier stürzt er sich in einen Erkenntnisrausch, der seiner Umgebung fremd ist."

Im weiteren Verlauf seiner Reise durch die Welt der Wissenschaft begegnet der Dalai Lama einer Vielzahl von Naturwissenschaftlern. Zu seinen Lehrern gehören neben vielen anderen Anton Zeilinger und Carl Friedrich von Weizsäcker. Seine Verbindung zur Chemie ist zum Beispiel durch Begegnungen mit Glenn T. Seaborg und Richard Ernst geprägt.

Im Vorwort seines im Jahr 2005 bei mehreren Verlagen erschienenen Buches "Die Welt in einem einzigen Atom" schreibt der Dalai Lama: "... es ist der Bericht über eine Entdeckungsreise, die ein buddhistischer Mönch aus Tibet in die Welt von Blasenkammern, Teilchenbeschleunigern und Magnetresonanz-Spektroskopie geführt hat." Er widmet sich in diesem Buch unter anderem der Relativitätstheorie und Quantenphysik, dem Urknall, der Evolutionstheorie, dem Bewusstsein und der Genetik. Obwohl er einräumt, nicht alles Detailwissen dieser verschiedenen Disziplinen zu beherrschen, so überzeugt er in diesem Buch doch durch sein Gespür für wissenschaftliche Zusammenhänge.

Seit vielen Jahren hat es sich der Dalai Lama zur Aufgabe gemacht, Gemeinsamkeiten zwischen Naturwissenschaften und Religion, speziell dem Tibetischen Buddhismus zu entdecken. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehört ganz wesentlich eine undogmatische offene Geisteshaltung, die es erlaubt, ja sogar dazu auffordert, vermeintliche Tatbestände und Zusammenhänge skeptisch zu hinterfragen und neu zu überlegen. Zu diesem Thema finden sich beim Dalai Lama Sätze, die ebenso gut von Richard Feynman hätten stammen können.

Im Dialog zwischen Religion und Wissenschaft wünscht sich der Dalai Lama von der Wissenschaft eine Offenheit für Ideen außerhalb des eigenen Erkenntnishorizonts, vor allem aber ein ethisches Bewusstsein des eigenen Handelns. Er selbst vertritt einerseits gegenüber der naturwissenschaftlichen Erkenntnis eine sehr offene, undogmatische und tolerante Grundhaltung. Er schließt aus der empirischen Beweiskraft naturwissenschaftlicher Methoden sogar, dass bestimmte Lehren des Buddhismus neu überdacht werden müssen, wenn diese im Widerspruch zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. Ein Beispiel hierfür ist die buddhistische Atomtheorie, die mit den Vorstellungen aus der griechischen Philosophie verwandt ist. Der Dalai Lama schreibt in seinem Buch, dass er dafür plädiert, die empirisch belegten Befunde der Atomphysik anzuerkennen und die eigenen Bücher umzuschreiben.

An buddhistischen Klöstern unterstützt er die Einführung naturwissenschaftlicher Fächer in die Ausbildung. In Dharamsala organisiert er regelmäßig alle zwei Jahre Konferenzen zum Thema "Mind and Life" und führt dabei Gespräche mit Naturwissenschaftlern, Medizinern und anderen. Die erste Konferenz fand im Jahre 1987 statt, zwei Jahre vor der Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn.

Literatur:

  • Dalai Lama, "Die Welt in einem einzigen Atom - Meine Reise durch Wissenschaft und Buddhismus", Theseus Verlag, Berlin: 2005
  • Dalai Lama, "The Universe in a Single Atom - The Convergence of Science and Spirituality", Morgan Road Books, New York, 2005
  • Sonderheft GEO, Januar 1999 mit dem Titel: "Wer erklärt uns die Welt ? Mystik und Wissenschaft kommen sich näher"