Programmzettel

3. So A: Mt 4, 12-23


I
Ich denke, viele von Ihnen kennen das aus Fernsehzeitschriften: Damit man sich unter dem Titel der Sendung überhaupt etwas vorstellen kann, wird der Film in zwei drei Sätzen beschrieben, die neugierig machen, aber nicht zuviel verraten sollen. Und dann folgen noch die Namen des Regisseurs und der wichtigsten Darsteller.

II
Eine solche Art Programmzettel haben wir auch im heutigen Evangelium vor uns. Matthäus hat ihn gezielt an der Stelle eingefügt, wo das öffentliche Auftreten Jesu eigentlich beginnt, also nach seiner Taufe und der Geschichte von der Versuchung. Mit diesen paar Zeilen gibt der Evangelist genau an, was es mit diesem Jesus auf sich hat, von dem er nachfolgend erzählen wird, und wer dabei noch eine Rolle spielt. Und Matthäus tut das so, dass das äußerlich Erzählte etwas von der Innenseite, vom eigentlichen Sinn des ganzen Geschehens verrät.

III
Deswegen muss man bei diesem Evangelium gerade auch auf das achten, was nebensächlich scheint. Das gilt besonders von den vielen Orts- und Ländernamen, die da fallen. Der ganze Anfang des Matthäus-Evangeliums wird ja regelrecht von einem einzigen Wandern durchzogen: Nachdem Jesus geboren ist, kommen die Weisen von fern aus dem Osten. Wegen Herodes müssen Maria und Josef mit dem Kind nach Ägypten fliehen. Nach Herodes Tod wandern sie wieder nach Israel zurück, und weil es in Judäa immer noch gefährlich war, ziehen sie nach Nazaret. Später zieht Jesus aus Nazaret an den Jordan zum Täufer Johannes. Und als der verhaftet wurde, so hörten wir vorhin, geht er nach Galiläa zurück, verlässt dort aber Nazareth und zieht nach Kafarnaum. Und alle diese Wanderungen erklärt Matthäus zu Erfüllungen dessen, was die alten Propheten schon längst verheißen haben. Damit will er sagen: Hinter allem Hin und Her steht Gott selbst. Er hat Jesus an den Punkt geführt, an dem er nun steht, und von diesem Punkt aus wird er in Angriff nehmen, was ihm aufgetragen ist.

Und was ist ihm aufgetragen? Das sagt Matthäus mit einem Zitat aus dem Propheten Jesaja: Das Volk, das im Dunkel lebte, hat ein helles Licht gesehen. Jesus ist gesandt, es denen, die sich trostlos und ohne Ausweg fühlen, hell zu machen, damit sie sich nicht mehr fürchten und dass sie weiter finden mit dem Leben. Nicht zufällig nennt Matthäus die Gebiete, in denen die wohnen, zu denen Jesus kommt: das Land Sebulon und das Land Naftali, das riesige Gebiet, wo sich die berühmte Meer-Straße hinzieht im Westen, das Land jenseits des Jordan, also der Osten, und das heidnische Galiläa, also dort, wo die wohnen, die mit den Heiden zu tun haben, und darum selber verachtet waren. Das heißt soviel wie: In Jesus wendet sich Gott allen zu, links und rechts, oben und unten, und denen hinten oder draußen, den Abgeschriebenen auch. Ihnen allen gilt die Botschaft, die Jesus von Gott auszurichten hat. Den Inhalt dieser Botschaft bringt Matthäus in seinem Programmzettel auf einen einzigen Satz in Jesu Mund: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. Das ist die vorwegnehmende Zusammenfassung all dessen, was Jesus später im Evangelium verkünden wird, besonders in der gleich nachfolgenden Bergpredigt. Das Gottesreich ist unmittelbar nahegekommen, d. h.: es fehlt nicht viel, und Menschen fangen endlich, endlich wieder an, ganz so zu leben, wie Gott das Leben eigentlich gemeint hat: geborgen im Vertrauen zu ihm und darum durchzogen vom Wärmestrom der Güte zueinander. Es fehlt deswegen nicht mehr viel, eigentlich gar nichts mehr, weil Jesus selbst diesen Anfang verkörpert. Und dadurch ist er denen Licht, also Orientierung, zu denen er gesandt ist in ihrer Verfahrenheit. Sie brauchen sich ihm nur noch anzuschließen. Das meint das Umkehren, zu dem Jesus aufruft.

IV
Dass er sich nach der Verhaftung des Täufers Johannes nach Galiläa zurückzog, ist das Erste, was von Jesus nach seiner Taufe an öffentlich Wahrnehmbarem erzählt wird ist. Galiläa war so etwas wie das Glasscherbenviertel des damaligen Israel, jedenfalls alles andere als der Ort, von dem man erwartet hätte, dass sich Großes täte an ihm. Aber genau dort fängt Jesus seine öffentliche Tätigkeit an. Dieser Anfang ist so einfach, wie wohl die Leute einfach waren, an die Jesus seine Botschaft richtete. Sie besteht aus genau zwei Sätzen, wie wir eben hörten: einer Aufforderung und der Begründung dafür: Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. An diesem „denn“ hängt es.

Was das konkret heißt, macht Matthäus gleich an denen sichtbar, die Jesu Ruf als Erste folgen. Es sind zugleich die, die gleichsam in seinen eigenen Auftrag hineingehören als Jünger und mit ihm, dem nahe gekommenen Gottesreich den Weg bereiten, dass es sich ausbreiten kann. Zweimal zwei Brüder ruft Jesus hinter sich, lauter Fischer, also einfache Leute. Alle vier gehen mit ihm, ohne sich Bedenkzeit auszubitten. Sofort – betont Matthäus , sofort lassen die einen ihre Netze liegen, geben also ihr bisheriges Leben und seine Sicherheit auf und sofort verlassen die anderen ihren Vater, verzichten also auf ihre Familienbande – beides Ausdrücke für das unableitbar Neue, das mit diesem Jesus anhebt. Umkehren und Hineinkommen in das Gottesreich gibt es nicht, wenn alles beim Alten bleibt.

Die ersten sind – so erzählt Mattäus – Simon und Andreas. Sie werden mitten in ihrem Werktag angesprochen – sie warfen gerade ihr Netz in den See, weil sie Fischer waren. Der Ruf zum Christwerden hat von allem Anfang an etwas Unerwartetes an sich. Und das Angesprochensein reicht schon dafür. Die Geschichte mit dem zweiten Brüderpaar bestätigt das und verrät zugleich vom Geheimnis des Christwerdens noch Tieferes als die Begegnung mit Simon und Andreas: … sie verließen das Boot und ihren Vater… – Zum Betreten des Gottesreiches gehört – scheint’s der Abschied von dem, was einer bislang für tragend hielt im Leben: vom Fischerboot auf dem See Gennesaret, das die Jünger ja genährt hatte und das eigentlich als Sinnbild dafür steht, wie der Mensch sich zu halten sucht auf dem See, dem Meer des Lebens und über seinen Abgründen. Und der Abschied vom Vater deutet an, dass zum Betreten des Gottesreiches auch das Heraustreten aus den natürlichen menschlichen Bindungen gehört, in denen sich jeder bewegt.

Es ist eben dies wohl auch immer die erste Ahnung von der Wirklichkeit des Gottesreiches, dass einer auf einmal merkt: Woher ich komme, wo ich stehe, was ich tue, ist nicht alles im Leben. Bei vielen Menschen bleibt es bei dieser dunklen Ahnung, andere schütten sie wieder zu, drängen sie weg auf alle erdenkliche Weise. Sie begnügen sich mit dem, was ist und geraten eben darum unausweichlich in jenes Gegenteil des Gottesreiches, das sie das eigene Dasein und die ganze Welt als Teufelskreis erleben lässt. Teufel heißt griechisch „diabolos“, Durcheinanderwerfer. Ein solches Leben – die Hölle.

Andere spüren dieser Ahnung nach, entdecken eines Tages, dass diese Ahnung durch Jesus eine Antwort, gleichsam ein Gesicht erhält. Darum vertrauen sie sich ihm an. Sie gehen seinen Weg mit. „Nachfolge“ sagt das Evangelium dafür und meint damit: Wer an der Seite Jesu geht und bleibt, findet das Gottesreich. Wann bin ich das letzte Mal in meinem Leben vor der großen Weggabelung gestanden, an der sich die Wege ins Chaos und ins Gottesreich trennen? Wohin habe ich mich dann aufgemacht? Ich könnte umkehren, wenn ich falsch gegangen bin. Matthäus hat die ganze Geschichte in der Vergangenheit erzählt. Ein einziger Satz steht in der Gegenwart: „Da sagt er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach!“ Mattäus wollte sagen: Der Satz gilt immer. Auch uns.

V
Und dann nimmt dieses Gottesreich seinen Lauf. Jesus zieht umher und verkündet, was er von Gott zu sagen hat, in Wort und Tat. So heilt er, heißt es, alle Krankheiten und Leiden im Volk und bestätigt damit, was die Alten schon von Gott glaubten: dass er ihr Arzt sei, derjenige, der die Wunden verbindet, die Schwächen heilt und Alles austreibt, was das Leben niederdrückt.

Gott bestimmt die Dinge wieder. Und mit dem „nahen Himmelreich“ meinte Jesus sich selbst. Wie er ist und was er tut, bringt Himmel und Erde, Gott und Mensch ins Lot. Nicht mehr die gegenseitig bereitete Hölle beherrscht alles, das Chaos, das Durcheinander, sondern Gott. In Jesus fängt dieses Neue an, das Gottesreich. Wer das wahrnimmt und ernst nimmt, kann gar nicht anders, als die Begegnung mit diesem Jesus als Ruf zur Umkehr erleben. Was ist Umkehr?

Umkehr hat nichts mit Zusammenreißen und nichts mit Leistung zu tun. Bloßes Frommsein scheidet sowieso aus. Das Evangelium macht Umkehr stattdessen an den Geschichten klar, mit denen es erzählt, wie die ersten Jünger zu Jesus gekommen sind.

VI
Angenommen, es wäre wahr, was Matthäus erzählt: dass Gottes Tun in Jesus Allen gilt – also auch uns. Und angenommen, das Gottesreich steht auch uns offen auf dem Weg, den Jesus weist. Und wir können das sogar spüren daran, dass wir von Allem befreit werden, was uns quält. Wäre es dann nicht wert, den Glauben zu wagen? Auf den Versuch käme es schon an.