Fundstelle "Leben"

Osternacht B: Mk 16,1-8

I
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine berühmte Gruppe von Malern, die sich „Der blaue Reiter“ nannte. Einer ihrer führenden Köpfe war Franz Marc. Von ihm gibt es zauberhafte Bilder, die Tiere oder Landschaften in ganz ungewohnten Farben zeigen. Vor kurzem waren viele von ihnen in Bonn zu sehen, jetzt im Münchener Lenbachhaus. Zu seinen berühmtesten Werken gehört auch ein Bild mit blauen Pferden. Als einmal eine Dame in eine Marc-Ausstellung kam und dieses Bild erblickte, sagte sie zu dem zufällig anwesenden Maler: Herr Marc, Pferde sind nicht blau! – Marc antwortete ihr: Madame, das sind auch keine Pferde, das ist ein Bild!

II
Das ist das Geheimnis eines jeden wirklichen Kunstwerkes: Es ist nicht sein eigener Gegenstand. Gerade dadurch, dass es Dinge anders, oft ganz anders darstellt, als wir sie zu sehen gewohnt sind, – eben dadurch macht es etwas vom Inneren dieser Dinge von ihrem Wesen sichtbar.

III
Und genauso verhält es sich mit dem, was uns das Evangelium von Ostern, von der Auferstehung Jesu erzählt. Es will uns keinen Bericht, keine Reportage liefern, wie es gewesen ist, sondern was Auferstehung bedeutet. Und dazu muss man diese Bedeutung nicht irgendwie hinter den Wörtern der Ostergeschichte suchen. Diese spricht für sich. Man muss ihre Bedeutung nur wahr- und ernstnehmen – wie ein gelungenes Bild.

IV
Ein paar Frauen, die Jesus zu Lebzeiten begleitet hatten, gehen in der Früh zum Grab, um dem Hingerichteten den letzten Liebesdienst zu erweisen, also den Leichnam würdig zu bestatten. Als sie zum Grab kommen, hören wir, ist es nicht mehr verschlossen, der Leichnam ist nicht da. Was sie finden, ist also gar kein Grab mehr. Und jetzt die Reaktion der Frauen: Nicht Freude, nicht Glaube an ein Wunder, sondern Ratlosigkeit. Sie können mit dem leeren Grab nichts anfangen. Wie wir auch.

In dieser Ratlosigkeit begegnet ihnen der junge Mann mit einem weißen Gewand –also ein Engel. Engel sind keine Gespenster, sondern in der Sprache der Bibel so etwas wie Sinnbilder der Gedanken Gottes, wie wir Menschen sie nachvollziehen können. Und die Frauen: Wieder keine Erleichterung, gar Freude, sondern: Erschrecken, wie man über etwas absolut Unerwartetes, Unvorstellbares erschrickt. Und Verlegenheit. Dazu passt, was der Engel zu sagen hat: Ihr sucht den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Ihr findet Jesus nicht dort, wo man Verstorbene findet. Ihr begreift nichts von ihm, wenn ihr ins Grab hineinschaut. Das Grab sagt nichts. Und darum beweist oder widerlegt es auch keine Auferstehung. Bewahrheiten tut sich Ostern ganz anders: Er geht euch voraus nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.

Also: Zurück an den Anfang. Was war da? Dass er Gott „lieber Vater“ nannte; dass er aus tiefstem Vertrauen in diesen Gott lebte und handelte; dass er Menschen einlud, Gott auch so zu trauen, weil sich so das Gottesreich ausbreiten wird in der Welt mitsamt und trotz ihren Zweideutigkeiten; dass aus diesem Vertrauen auch die Güte kam, die er allen entgegenbrachte, zumal denen, die angeschlagen waren, die sich verirrt, auch ins Böse verstrickt hatten; und vor allem: dass Jesus dieses Vertrauen auch in den letzten Tagen seines Lebens nicht aufgab, als er immer klarer sah, dass man ihn eben wegen seiner Art von Gott zu reden und mit Gott zu leben aus dem Weg schaffen wird. Weil er überzeugt war, dass es kein halbes Vertrauen geben kann: Wenn Gott vertrauenswürdig, wenn er treu ist, dann wird er es auch und gerade dann sein, wenn er selbst absolut nichts mehr vermag, wenn er sich selbst entrissen wird im Tod. Dann wird sich dieser Gott am allermeisten als der Treue erweisen. Hat einer mit diesem Gottvertrauen einmal angefangen, dann ist es unteilbar, und er kann gewiss sein: So wie dieses Vertrauen alle Barrieren, alle Ängste während seiner Lebtage besiegt, wie es freimacht von allem, was knechtet, genauso besiegt es auch den Tod. Denn: Wenn Gott mich will und lieb hat, wird auch der Tod nichts sein, was mich vernichten kann. Ich bleibe auch im Ende, weil Gott Gott ist. Das hat uns Jesus nahegebracht am eigenen Leib.

V
Jedoch: Leicht war der Weg in dieses Vertrauen für Jesus nicht. Genauso wenig wie für die Frauen am Grab – warum flohen sie denn von dort unter Zittern und Entsetzen und sagten niemandem etwas davon? So endet das Markus-Evangelium. Und das war für die junge Gemeinde derart unerträglich, dass man später noch einen anderen Schluss nachgeschoben hat mit Erscheinungen, Verheißungen mit allem Drum und Dran und der mutigen Osterpredigt der Apostel. Und genauso wenig ist dieser Gang ins Vertrauen leicht für uns.

Vielleicht geht einem erst auf, was da eigentlich geschieht, wenn man auf eine Gestalt der Passionsgeschichte blickt, die in den Ostererzählungen gar nicht mehr vorkommt, aber untergründig präsent ist. Eine Gestalt, die noch dazu seit der Urkirche total negativ besetzt ist und als Keimzelle des christlichen Antisemitismus gelten muss: Judas. Was hat Judas mit Ostern zu tun? Amos Oz, der derzeit berühmteste Schriftsteller Israels, hat in seinem jüngsten Roman, der lapidar mit dem Namen des Apostels Judas überschrieben ist, ein atemberaubendes Szenario entworfen. Für ihn ist dieser Judas keineswegs der schlimme Verräter, der diesem Jesus Böses will.

Im Gegenteil fragt sich Oz, warum denn Judas Kassenwart des Zwölferkreises war. Ganz einfach, weil er zuverlässig, Jesus absolut treu ergeben, vielleicht sogar wegen seiner gesellschaftlichen Reputation und Bildung das geeignetste Bindeglied dieser schrägen Dreizehnergruppe zur umgebenden Gesellschaft war. Judas, so denkt sich Amos Oz, hat an Jesus geglaubt. Er war absolut überzeugt, dass dieser galiläische Prediger und Wundertäter der ersehnte Messias ist, der das Gottesreich heraufführen wird. Und deswegen habe er ihn buchstäblich bekniet, nach Jerusalem hinaufzuziehen, den Konflikt mit den religiösen und politischen Autoritäten zu suchen, die Kreuzigung auf sich zu nehmen – und dann siegreich vom Kreuz herabzusteigen, zum Beweis seiner Gottessohnschaft. Und als es dann so weit ist, nach vielem Zögern und Bangen dieses Jesus, da kommt es zur Kreuzigung. Und es passiert – nichts. Kein Wunder, kein Triumph. Nichts. Und das erschüttert den Judas derart, dass er da den ihm liebsten Menschen offenkundig ins Unheil getrieben hat, dass er seinem eigenen Leben ein Ende setzt, weil auch die Hoffnungen, die er in diesen Jesus gesetzt hatte, zerstoben sind. Judas, der erste, vielleicht der einzige Christ. Sagt Amos Oz.

VI
Jesu Freunde waren entsetzt, rannten außer Johannes alle davon, weil es nicht zum Aushalten war und – ja, das auch – weil sie um sich selber Angst hatten. Aber seltsamerweise kommen sie bald nach diesem fürchterlichen Freitag wieder zusammen, zeigen sich sogar öffentlich und fangen an davon zu reden, dass der Gekreuzigte lebe. Warum tun sie das? Weil ihnen auf durch und durch bestürzende Weise aufging, dass den, der so mit Gott lebte wie er und selbst im Sterben nicht ließ von diesem Gott und im Sterben noch nach ihm rief „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ – dass den der Tod nicht vernichten konnte. Dass er vielmehr für Gott bleibt, wer und was er war. Dass er darum gleichsam in Gott hineingehört und eben darum – wie Gott selbst – mitten aus der Wirklichkeit der Welt heraus begegnen kann. Gerade so, wie Gott Menschen dadurch begegnet, dass ihnen völlig überraschend ein an sich unscheinbares Ereignis ihres Lebens zum Inbild für ihr letztes Woher und Wohin wird.

Nicht nur die Bibel, die heiligen Bücher aller Religionen und auch noch die Werke der Dichter, Maler und anderen Künstler sind voll von solchen Spuren der Begegnung mit Gott. Mit Ostern kommt etwas ganz Einzigartiges hinzu: dass inmitten solcher Gottesbegegnung Jesus selbst begegnen kann auf eben diese Weise, über die Menschen nicht verfügen können, die ihnen aber gleichzeitig unbezweifelbare Gewissheit schenkt.

VII
Von so etwas dann zu sprechen ist gar nicht so einfach. Es geht nur mit Wörtern, die man schon kennt. Sie passen freilich nur halb, sind auch missverständlich – und lassen trotzdem etwas ahnen von der Wirklichkeit, auf die sie zielen. In diesem Sinn haben die ersten Christinnen und Christen bald nach dem Karfreitag gesagt, Jesus sei zu Gott erhöht, sei verklärt, verherrlicht – und eben auch: er sei auferweckt worden. Das war ein Wort aus ihrem jüdischen Glauben. Es drückte ursprünglich vor allem Hoffnung aus, dass Gott am Ende von Zeit und Geschichte die Toten zu neuem, nicht mehr irdischem, sondern mit Gott selbst verbundenem Leben erwecken werde. Jetzt wollten sie damit sagen: Was wir für alle am Ende erhoffen, ist mit Jesus jetzt schon geschehen. Und dann haben sie in Geschichten ausgefaltet, was das bedeutet.

VIII
Wir heute hoffen, sei es ausdrücklich, sei es verborgen, genauso wie alle Menschen, seit es Menschen gibt, dass mit dem Sterben nicht alles vergeblich wird, was wir getan, gelassen und gelitten haben. Wir hoffen das für uns und mehr noch für die, die uns lieb sind. Mit Ostern freilich ist diese Hoffnung anders geworden: aufregender und gelassener zugleich nämlich. Aufregender, weil von unserer irdischen Gestalt nichts bleiben wird, wenn schon von Jesus nichts blieb – das steht im Evangelium. Und gelassener deswegen, weil an Jesus offenbar geworden ist: Auferstehung kommt nicht irgendwann in unendlicher Ferne, sondern: Sie geschieht im Tod. Ja sogar: Der irdische Tod ist ihr Zeichen. So nah ist uns jenes Leben, das unzerstörbar ist. Das feiern wir heute.