Einfach Gott

Dreifaltigkeit B: Mt 28,16-20

I.
Platon, der Großfürst der Philosophie, war mit einigen seiner Schüler ins Gespräch vertieft. Da fragte ihn einer: Meister, was eigentlich ist der Mensch? Platon und seine Anhänger begannen, das Problem nach den strengen Regeln der Philosophie zu behandeln, und am Ende des Disputs stand fest: Der Mensch gehört zum Tierreich; mit wenigen anderen Kreaturen teilt er die Eigenschaft, auf zwei Beinen zu gehen, und das Unterscheidende des Menschen sei, weder Fell noch Federn zu besitzen. Noch während sie disputieren war Diogenes, der für seinen bösen Spott berüchtigte Athener, hinzugetreten. Als er hörte, der Mensch sei ein fell- und federloser Zweibeiner aus dem Tierreich, da schnappte er sich einen Gockel, der gerade vorbeistolzierte, rupfte ihm die Federn aus, stellt ihn in den Kreis der Denker und rief: Da, verehrter Platon, da hast du deinen Menschen! Der Meister und seine Schüler – erzählt man – wussten nicht, was sie darauf antworten sollten.

II.
Wenn sie nicht wahr wäre diese Anekdote, dann wäre sie gut erfunden. Schonungslos stellt sie bloß, wie schnell wir mit unseren menschlichen Definitionen Schiffbruch erleiden, auch ein Meisterdenker. Nicht einmal richtig sagen können wir, wer oder was wir als Menschen sind mit unserem so klugen Verstand. Darf es da noch wundern, dass wir uns erst recht schwer tun, wenn wir versuchen, davon zu reden, woher wir kommen und wohin wir gehen, von dem, was Grund und Halt unseres Lebens sein soll – von dem also, wer oder was Gott ist? Höchste Macht, vollkommenstes Wesen, schöpferischer Urgrund, absolutes Sein, bodenloses Nichts haben die Weisen der Welt ihn schon genannt. Und ebenso viele Weise haben hieb- und stichfest bewiesen, dass ein jeder dieser Namen meist nicht nur unbrauchbar ist, sondern auch noch das Gegenteil von dem einschließt, was er eigentlich bedeuten sollte.

III.
Christinnen und Christen scheinen dem die sprichwörtliche Krone aufzusetzen, wenn sie bekennen: Gott ist dreifaltig einer, Vater, Sohn und Heiliger Geist – ein Gott in drei Personen, die doch eines Wesens sind. Verwirrend, das – nicht nur für Laien, wahrlich. Denn was plagt sich die Theologenzunft bis heute mit den frühchristlichen Konzilsentscheidungen, die überzeugt waren, mit solchen Formeln die Treue zum eigenen Ursprung zu schützen und zu stärken!
Die Not mit dem Bekenntnis zum dreifaltigen Gott, scheint mir, kommt immer dort auf, wo sich die alten Formeln gleichsam verselbständigen. Wenn wir ehrlich sind, werden wir gestehen müssen: Auch unser christliches Reden vom dreifaltigen Gott ist so ähnlich unbeholfen wie Platons Rede vom Menschen: irgendwo logisch richtig, und doch so wenig die eigentliche Wahrheit. Aber wer sich die Mühe macht, ein wenig darauf zu achten, wie denn dieses unser Bekenntnis entstanden ist, der wird die überraschende Entdeckung machen, dass jene Formeln vom dreifaltigen Gott im Grunde so einfach und treffend sind wie einst Jesu Gleichnisse vom Gottesreich.

IV.
Ich glaube, man kann so sagen: Die Rede vom dreifaltigen Gott entsteht dort, wo der Mensch – ja – gezwungen ist, Gott und die Geschichte, Gott und das Vergängliche zusammenzudenken. Haargenau dies ist jeder und jedem abverlangt, die Jesus und seine Botschaft von Gott ernst nehmen. Da redet einer von Gott in schlichten Worten der Handwerker-, Bauern- und Fischersprache. Und er sagt nichts, was Ehrfurcht einflößt oder Schauer erregt. Stattdessen sagt er Dinge von Gott, die trösten und nicht selten verblüffen, weil sie das sprengen, was man von Gott gemeinhin zu denken gewohnt ist: Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat, sagt er z.B. – will heißen: der Mensch hat nicht Knecht und Diener einer kalten Majestät zu sein, sondern Gott – ja, wirklich – Gott ist ihm zu Diensten, dass er lebe. – Oder er, Jesus vergleicht Gott mit einem Gutsbesitzer, einem Arbeitgeber, der – menschlich gesehen absolut verrückt – riesige, unbezahlbare Schulden erlässt, einzig geknüpft an die Bedingung, dass wir auch einander das Kleine, das wir uns höchstens schulden können, erlassen. – Und auch nennt er diesen Gott „barmherziger Vater“ – also einen, der behütet und Sorge trägt und lieber buchstäblich zuvorkommend entgegengeht als sein Gegenüber antreten zu lassen, auf dass es sich in den Staub werfe.
Wenn das freilich wahr ist, dann kann dieser Gott niemals ein Wesen sein jenseits von all dem, was unser Menschenleben ausmacht mit seinen Wegen und Windungen. Dann muss er sozusagen mit Haut und Haar darin verstrickt sein. Und – erstaunlich –, es fällt gar nicht schwer zu sagen, wo denn das geschieht in der Welt: der, der so von Gott redet, der war selbst durch und durch so, wie er sagte, dass Gott ist – also etwas von Gott mitten in der Welt. Die ersten Christen sagten dafür ziemlich kühn: Jesus von Nazaret ist Gottes Sohn; durch das, was er sagt und tut, ist er untrennbar von dem Gott, den er „lieber Vater“ nennt. Jesus ist das Gleichnis, die Metapher Gottes. Gleichnisse informieren nicht über etwas, sondern sie bewirken, was sie sagen, darum treffen sie so. Und darum auch wird der Mensch Jesus Gottes Sohn genannt. Weil einem in ihm, seinem Wort, seinem Tun, seiner Gestalt, Gottes Innerstes an die Seele rührt. So einfach ist das. Mit dem Bekenntnis von der zweiten göttlichen Person drücken Christen eigentlich nur – „nur“! – aus, dass sie sich ohne Jesus Gott nicht mehr vorstellen können. Weil er so untrennbar zu Gott gehört, dass er gleichsam dessen Gesicht für sie ist – Prägebild seines Wesens, sagt der Hebräerbrief in seinen ersten Zeilen dafür. Griechisch: charakter tes hyostaseos autou. Etwas freier übersetzt: Jesus ist charakteristisch für Gott. Weil es Jesus gibt, ist Gott für uns unverwechselbar.
Oder – das sagen die frühen Gemeinden auch: Er, dieser Jesus, ist Gottes Wort an uns, das, worin er sich selber uns mitteilt und schenkt, aber eben sich selbst und nicht irgend etwas anderes, weshalb dieses Wort nichts Äußerliches, nachträglich dazu Kommendes sein kann, sondern sozusagen ein Stück von Gott selbst, eines Wesens mit ihm, das seit je schon und für immer zu ihm gehört. In ihm legt Gott sein Innerstes offen, gibt es weg, ohne es dadurch zu verlieren. Genauso wie ein menschliches Wort, von uns ausgesprochen auf einen anderen hin, dennoch in uns, seiner Herkunft bewahrt und gegenwärtig bleibt.

V.
Und es ist genau dieses geistliche Nachsinnen über Jesus als das personifizierte Wort Gottes, das wie von selber sich weitet auf das, was wir in der Sprache der Kurzformeln des Glaubens die dritte göttliche Person, den Heiligen Geist nennen. Denn das meint nichts anderes, als dass der Gott, der sich durch Jesus kenntlich macht und buchstäblich verausgabt an seine Schöpfung, nichts von seinem Weltabenteuer sozusagen zurücknimmt, sondern dem anderen seiner selbst, dem Endlichen – also uns Menschenkindern – durch unser Hinhören, seine Aufnahme in uns, einwohnt und sich bleibend zueignet.
Anselm von Canterbury, ein frommer Mönch des 11. Jahrhunderts, der zugleich zu den Koryphäen philosophischer Theologie gehört, schrieb in einem einschlägigen Kapitel seines Werkes „Monologion“ unter anderem:
„Denn wenn ein Weiser mich seine Weisheit, deren ich vorher nicht kundig war, lehrte, so würde man nicht unpassend sagen, das tue diese seine Weisheit. Aber obwohl meine Weisheit von seiner Weisheit ihr Sein und ihr Weisesein hätte, würde sie dennoch, wenn sie nun da wäre, nur durch ihr eigenes Wesen sein und nur durch sich selbst weise sein.“ (Monologion XLIV)
So wird der Gott, von Wesen jenseits von Raum und Zeit, weil er auch das aus sich entlässt, zum Gott in uns, zu dem, der uns näher ist als wir uns selbst, weil er sich in unserer eigenen innersten Mitte einschreibt so, wie ein Künstler sein Werk signiert und es damit als kostbares Original besiegelt, in dem sich verwirklicht, was ihn selbst ausmacht. Wo ein Mensch das in sich aufnimmt, was Gott ihm zusagt, also „ja“ sagt zu Gottes Selbstaussprache, wird er oder sie seinerseits gerade kraft seines, ihres Selbststandes zum Bild Gottes. Dafür sagen wir unbeholfen „Heiliger Geist“. Person ist dieser Gott in uns dadurch und deshalb, dass und weil er sich sozusagen durch das Nadelöhr des je einmaligen Ichseins eines und einer jeden vergegenwärtigt. Die Glaubenden erfahren dieses von Gott-beseelt-Sein als eine Kraft, die sie mit dem tragenden Grund, dessen gleichnishaftes Antlitz sie in Jesus erblicken, so eng verbindet wie Jesus mit ihm verbunden war.
Und weil es der eine Gott ist, der sich allen zusagt, bindet diese seine Selbstgabe auch alle untereinander zusammen zu einem Ganzen, das mehr und größer ist als die Summe seiner Teile. Oder im Bild gesagt: Was sein Wort in den einzelnen Seelen zum Tönen bringt, formt sich zur Symphonie, mit der die Schöpfung ihrem Schöpfer antwortet in der Hoffnung, dass im Überstieg aller Grenzen Gott einmal alles in allem sei. Darum auch spielen von der Zeit der Kirchenväter an bis in die Mystik von heute, wenn vom Heiligen Geist die Rede ist, personale Bilder und Namen nur eine Nebenrolle. Unvergleichlich öfter ist von „Strom“, von „Sturm“, von „Flut“ und „Glut“ die Rede, alles Sinnbilder dafür, dass das umgreifende, auch mitreißende Eins- und Eingeborgen-Sein das Erste und das Letzte der Worte Gottes ist.

VI.
Der eine Gott in drei Personen ist darum keine Ausgeburt von Theologenhirnen. Wir drücken mit dem Bekenntnis zum dreifaltigen Gott vielmehr eine Erfahrung aus – eine Erfahrung, die jede und jeder macht, der aufmerksam auf Gottes Wort und zugleich in sich selbst hineinhört. Sie alle sind durch Ihre Taufe und Firmung eingeweiht in dieses Geheimnis – und darum Fachleute dafür. Mit jedem Kreuzzeichen und „Ehre sei dem Vater“ bestätigen Sie diese ihre Gotteskompetenz und machen kenntlich, wo Ihr Herz zu Hause ist.