Unsere Hoffnung

Aufnahme Mariens in den Himmel: Röm 8,1-35 (zugewählt) + LK 1.39-56

I
Im Park der Villa Borghese in Rom steht eine Sehenswürdigkeit, die kaum ein Tourist sucht und die selbst die meisten Römer nicht kennen: Ein moosbewachsener Felsstumpf ragt aus einem Wasserbecken, auf ihm ein verglaster Holzkasten mit einer Uhr darin. Über dem Uhrwerk sind zwei kleine bronzene Schaufeln angebracht, über die von oben Wasser fließt und die so die Uhrzeiger antreiben. Darunter steht auf einer Marmorplatte: Idrocronometro – also Wasseruhr. Erfunden und gebaut im Jahr 1867 vom Dominikanerpater Giambattista Embriaco.

II
In dieser kleinen Uhr steckt ein Traum – der Menschheitstraum, das Feste und das Flüchtige, das Messbare und das Unerschöpfliche, Zeit und Ewigkeit zu verbinden. Man muss eine kleine Weile staunend betrachten, um dieses Wunder zu erkennen. Dann fängt man auch an zu begreifen, dass diese Uhr nichts anderes als ein tiefes Sinnbild für den Menschen selbst ist: ist er doch auch ein so zerbrechliches, empfindliches Gebilde, gewebt aus den Fasern eines endlichen Lebens, die trotzdem allesamt aufs Ewige hinauszulaufen suchen. Mit der Urkraft der Hoffnung tun sie das.

III
Auch unser christlicher Glaube hängt das vergängliche Leben mit seinem ganzen diesseitigen Gewicht an eine solche Hoffnung aufs Ewige. Eines der glühendsten Zeugnisse für diese Hoffnung haben wir vorhin in der Lesung aus der Feder des Apostels Paulus vernommen: Ich bin gewiss, sagt er, – ich bin gewiss: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges… noch irgendeine Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes… – Dieser Paulus, der das aus der Tiefe seines glaubenden Herzens sagt, der war kein frömmelnder Betbruder. Paulus wusste, was Leben heißt und Not und harte Arbeit; er hatte Höhen und Tiefen durchschritten, hatte Schuld auf sich geladen, Schicksalsschläge trafen ihn, an seinen Schwächen litt er, wusste sich Versuchungen ausgesetzt, zweifelte, haderte, scheiterte in wichtigen Lebensplänen. Aber: aus all dem heraus bezeugt er uns seine unumstößliche Gewissheit, dass es nichts, absolut nichts geben kann, was eine Kluft aufzureißen vermöchte zwischen Gott und ihm: Leid nicht, Schuld nicht, Schicksal nicht, nicht einmal der Tod. Selbst wenn er einmal stirbt – so spürt der Apostel gläubigen Herzens –, selbst dann wird er nicht herausfallen aus Gottes Hand. Den unüberbrückbaren Abgrund, den der Tod zwischen Menschen aufreißt, den gibt es nicht zwischen Mensch und Gott.

Das alles sagt Paulus nicht einfach so hin, gleichsam um sich selbst ein bisschen zu trösten. Seine Gewissheit hat einen Grund. Paulus spricht ihn so aus: Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für uns alle hingegeben: Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? – Um gewiss zu sein, dass nicht einmal der Tod einen Menschen ins schiere Nichts stürzen, also der Liebe Gottes entreißen kann, dazu hat der Apostel nur daran erinnern müssen, was Gott schon längst in Jesus Christus für uns getan hat: ein kleiner Mensch ist er geworden, er, der große Gott; gedient hat er uns; unser Leben mit aller Not und Ohnmacht hat er geteilt; und am Ende hat er sich am Kreuz aus der Welt hinauswerfen lassen, um so das Böse in der Kraft der Liebe zu besiegen. Wenn nun, so denkt der Apostel, – wenn nun Gott das alles für uns tut, wenn es ihm so sehr um uns geht, wird er uns dann in unserem menschlichen Sterben allein lassen? Paulus ist gewiss, wie die Antwort einzig heißen kann: dass der Tod nicht einfach Aus und Amen heißt und alles vorher gelebte Leben sinnlos macht, sondern: dass jeder Mensch, jeder einzelne Gott so wichtig ist, dass er nicht einmal mit seinem Sterben bei ihm abgeschrieben ist, sondern aufgefangen von Gottes Händen und für immer beheimatet bei ihm.

Wie unausdenkbar Gott über die Geschichte hin sich immer wieder als der um uns Besorgte und uns Liebende erweist, das ist für Paulus der Grund, sich eines ewigen Lebens gewiss zu sein. Und genau in dem Maß, in dem ein Mensch sich diesem Gott glaubend anvertraut, in dem Maß darf er sein zerbrechliches irdisches Leben mitsamt seinem Ende jetzt schon und für immer geborgen wissen in solcher Ewigkeit.

IV
Jetzt verstehen Sie auch: Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel, das wir heute feiern, ist zutiefst nichts anderes, als ein feierliches Bekenntnis, wie ernst es uns mit dieser Hoffnung auf ein ewiges Leben ist. Wenn ein Mensch ganz geglaubt hat – genau so, wie das Evangelium es vorhin von Maria bezeugt hat –, wenn ein Mensch ganz geglaubt hat ohne Vorbehalt, dann bleibt keine Faser seines mit Leib und Seele gelebten irdischen Lebens außerhalb der uns von Gottes Treue eröffneten Unvergänglichkeit. Von Maria dürfen wir das jetzt schon mit Gewissheit sagen, weil sie ganz glaubte. Vielleicht sind auch andere schon so vollendet, von denen wir es nicht wissen. Und wir selber dürfen in der befreienden Hoffnung leben, denselben Weg zu gehen, wenn wir uns Gott anvertrauen.

V
Der alte Brauch des heutigen Festes, die Segnung der Kräuter und Feldblumen setzt diese Hoffnung in ein sinnliches Bild. Er erinnert an die Legende, dass man, als der Sarg der Gottesmutter geöffnet wurde, nicht Staub und Gebeine fand, sondern duftende Blüten – auch dies ein Sinnbild, eines aus Worten: dass, was vergänglich war, wenn es ganz in Gottes Hand zurückkehrt, sich in Leben und Schönheit wandelt. Und die Natur selber hilft unserm Denken sozusagen in diesen Gedanken hinein, weil die Kräuter und Blumen, gerade dadurch, dass sie getrocknet werden, also ihre natürliche Lebendigkeit verlieren, erst ihre Heilkraft und den Wohlgeruch entfalten, der in ihnen verborgen ist: Durch das Absterben kommt das Kostbare zutage, durch das Heimkehren in Gott das Unvergängliche.

Der berühmte Pfarrer Kneipp hat einmal in einer Predigt zum heutigen Fest empfohlen, gerade die vergessenen und verstoßenen, also meist achtlos übergangenen Kräuter wertzuschätzen, weil Gott so viel Heilkraft in sie gelegt habe für den Leib und sie überdies Sinnbilder für das seien, dessen die Seele bedürfe. Und so zählte er insbesondere die Pfefferminze auf, den Salbei, die Schafgarbe, das Rosmarin, den Wermuth, die Melisse, die Kamille, die Ringelblume und die Königskerze. Und jeder leiblichen Heilkraft war eine geistliche Wohlttat zugeordnet: So galt ihm etwa die nervenberuhigende Melisse als Sinnbild eines guten Gewissens, der Salbei gegen die Halskrankheiten als Sinnbild für das Atemholen der Seele und die Königskerze, die die Atemnot lindert, als Wink zum aufwärts schauenden Gottvertrauen. Man muss das nicht überstrapazieren, aber im Glauben darf man auch die Schöpfung als ein Gottesbuch lesen. Und vor allem: Wer solch geistliches Lesen des Irdischen lernt und wagt, wird eines Tages wie von selber auch das Enden des irdischen Lebens selbst als Inbild der geistlichen Neugeburt in der Ewigkeit Gottes verstehen und so ein österlicher Mensch geworden sein. Das aber ist der tiefste Sinn des heutigen Tages, den es sich wahrlich zu verstehen lohnt.