Oster-Schrift

Osternacht A: Röm 6,3-11

I
In wenigen Stunden geht draußen die Sonne auf. Wir feiern die Osternacht in den Ostermorgen hinüber, die Geburtsstunde unseres Glaubens. Tod und Sünde sind besiegt, so wie das Licht die Nacht überwinden wird. Die Schöpfung hat angefangen, wieder so zu werden, wie Gott sie eigentlich gemeint hat. Die Sehnsucht der Propheten nach Glück und Gottesnähe ist erfüllt. Das sagen wir, indem wir – wie vorhin gerade – die uralten Geschichten der Bibel lesen und sie mit den Psalmen und Liedern bekräftigen, gleichsam Ja und Amen sagen zu ihnen. Amen: So ist es.

II
Vorhin, als wir das Osterfeuer draußen gesegnet und die Osterkerze entzündet haben, sind – wie immer um diese Zeit in der Stadtmitte hier – Menschen vorüber gegangen. Denken wir uns einmal, da war einer dabei, der wunderte sich, dass da so viele Leute zu dieser ungewohnten Zeit in die Kirche gehen. Sagen wir, er hat sich Ihnen einfach aus Neugier angeschlossen, als sie hier herein gezogen sind. Vielleicht ist so jemand jetzt tatsächlich unter uns. Er oder sie hat dann ganz aufmerksam verfolgt, was wir bis jetzt gelesen, gesagt und gesungen haben. Vielleicht würde er oder sie, denke ich mir, irgendwann gleich jetzt in einem Augenblick, da es geht, seinen Banknachbarn, seine Nachbarin fragen: Entschuldigung, dieses Ostern, von dem der da vorn redet, war das schon oder kommt es erst?

III
Was würden Sie antworten? Tod und Sünde sind besiegt - und im Sudan, im Irak und anderswo schlachten sich Menschen ab. Um’s Eck feiert Hass gegen Fremde Triumph. Betrug, Eigennutz, Lüge, Missbrauch sind selbstverständlich. In der Politik sowieso, in der Kirche manchmal auch. Die Kluft zwischen immer reicher und immer ärmer reißt klaftertief auf, so weit, dass die einen 300mal so viel wie die anderen verdienen. – Die Schöpfung hat angefangen zu sein, wie Gott sie gemeint hat – und doch wird sie verbraucht, vernichtet, verbrannt so sehr, dass man heute nicht mehr weiß, ob ein Kind von übermorgen noch wissen wird, was ein Baum, ein Käfer ist. – Und was noch von der Sehnsucht nach Glück und Leben reden! Leben wird gespielt, Glück gekauft. Vom Preis redet man nicht. Also: Was antworten wir unserem Gast? War Ostern schon oder – glauben wir – kommt es erst?

IV
Die Antwort ist schwierig und ganz einfach zugleich: Ostern war schon und kommt erst. Der Grund: Ostern war nicht einfach im Jahre 33 unserer Zeitrechnung nach. Und Ostern steht nicht erst in den Sternen der Zukunft, für St. Nimmerlein zu erwarten vielleicht. Ostern geschah nicht einst und wird nicht geschehen irgendwann. Es geschieht immer jetzt. Und es geschieht nicht oben und unten, nicht hinten und vorne, sondern innen. Ostern ist, wenn ein Mensch bis zum Grunde seines Daseins – das Ende eingeschlossen – Vertrauen fasst zu seinem Gott. Was so innerlich anfängt, drängt dann nach außen. Will sichtbar, hörbar, greifbar werden, in allem, was zum Leben gehört.

Bei Jesus hat das Innen und Außen restlos zusammengestimmt, weil er Gott ganz traute. Darum ist sein ganzes Dasein schon österlich geworden. Die, die ihn von Herzen mochten, also ganz wussten, wie er war, konnten gar nicht anders, als durch die Trauer des Karfreitags hindurch zu entdecken, dass niemals verloren sein wird, wer sich wie er an jenen treuen und nahen Gott hängt, den er verkündet und derart unbedingt mit Leib und Leben beglaubigt hat. Darum bezeugten sie ihn als den Auferweckten. Sein ganzes irdisches Leben samt seinem Sterben ist unverlierbar hineingerettet in Gottes Wirklichkeit, wollten sie damit sagen. Das hat Gott an ihm sichtbar werden lassen, damit dieser Jesus uns Inbild sei dafür, was auch uns zugedacht ist.

Bei uns müssen das Innen und das Außen des Lebens noch zusammenfinden, damit Ostern wird. Aber Ostern, die Auferstehung, ist uns schon in die Seele geschrieben. Alles, was wir suchen, leiden, schaffen, ist immer für die Ewigkeit gedacht. Und nicht einmal das Verfehlte geht verloren. Auch es trägt verborgen den Keim der Unverlierbarkeit in sich. Wie das Ende Jesu am Kreuz. Nur der österliche Schriftzug, geschrieben mit dem Herzblut des Gottvertrauens, darf daran nicht fehlen. Je kräftiger er geschrieben wird, desto mehr Leben, desto mehr Ostern wird daraus.

V
Um diese Schrift freilich ist es etwas Besonderes – wie immer, wenn sich etwas aus Gottes Welt in der Welt der Menschen kundtut. Ein Religionslehrer forderte einmal seine Viertklässler auf, Gott zu malen. Ein zehnjähriges Mädchen zeichnete eine bunte Hügellandschaft mit Bäumen und Pflanzen darin, die in den Himmel hineinwuchsen. In der Mitte des Bildes stand ein großer Stuhl. Auf dessen Sitzfläche zeichnete das Kind drei Kreuze. Und darunter schrieb es: Hier sitzt Gott.

Ein Kinderbild nur, aber reicher, wahrer als dicke Gelehrtenbücher. Wenn Menschen, die nicht schreiben können, etwas unterzeichnen müssen, machen sie auch drei Kreuze. Mehr geht nicht. Aber es reicht zum Gültigsein. So unbeholfen sind auch wir Menschen vor Gott. Was wir an Gottvertrauen, also an Glaube, an Hoffnung, an Liebe aufbringen im Leben, ist oft so unansehnlich. So zittrig und zögerlich darunter gesetzt unter das, was wir meinen, tun und lassen zu sollen. Aber es ist gültig. Schon ein gutes Wort richtet einen auf, eine Geste, die sagt: Ich verstehe dich. Um wie viel mehr, wenn einer für den anderen eintritt, ihn verteidigt. Am meisten, wenn ein Mensch dem anderen aufrichtig sagt: Ich liebe dich - und ihm damit heimlich verspricht: Du wirst nicht sterben. Lauter kleine Ostern. Sie spiegeln schon das große Ostern, das wir heute feiern - und machen es menschlich wahr.

Bald wird die Sonne aufgegangen sein. Das tut sie verlässlich, jeden Tag. Auch dann, wenn wir sie nicht sehen, weil sie hinter Wolken verborgen ist. Genauso ist es mit Gott. Dafür hat sich Jesus verbürgt. An die Auferstehung glauben heißt: Sein Zeugnis von Gott unterschreiben. Auch drei kleine Kreuze zählen schon.

VI
Aber wundern Sie sich dann bitte nicht! Wundern sie sich nicht, wenn Sie jemand – sagen wir in ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis – wegen ihres Osterbekenntnisses bedauert, belächelt vielleicht, wie einen Analphabeten, den man ertappt hat in seiner Unbeholfenheit. Die Oster-Schrift, mit der wir unser Bild von der Welt und uns selbst unterschreiben, ist für nicht wenige unserer Zeitgenossen nur eine Hieroglyphe, ein unverständliches Rätselzeichen, bestenfalls von kulturgeschichtlichem Interesse noch, aber nichts, was sie in erster Person anginge. Ja: Ostern war seit je und ist befremdlich bis heute. Schon der predigende Paulus auf dem Athener Areopag hat das erfahren müssen. Als er nach der Rede vom unbekannten Gott, der viele zustimmen mochten, mit der Osterbotschaft anfing, gingen die allermeisten weg wie von einem aufdringlichen Straßenhändler. Aber ist diese Fremdheit der Osterbotschaft Beweis dafür, dass sie nicht glaubwürdig ist? Woher wollen wir sicher sein, dass das, was jetzt ist, einmal alles gewesen sein wird? Natürlich kann die Oase, die ein Dürstender in der Wüste sieht, eine Fata Morgana sein. Aber gäbe es den Durst, wenn kein Wasser existierte?

VII
So ähnlich ist es mit Gott auch. Aus der Entfernung gesehen ist alles schwankend, kann trügerisch sein. Aber dort, wo eine oder einer sich die Frage nach dem letzten Woher und Wohin buchstäblich auf den Leib rücken lässt, wo die Frage nach Gott ins Innerste eines Menschen eindringt, da wächst der Osterbotschaft eine unbezwingliche Gewissheit zu. Dort zählt nicht mehr, dass die, die das zulassen, von etwas reden müssen, was sich einfach nicht mit anderem vergleichen lässt, weil es bisher noch nicht vorgekommen war. Sie mussten und wir müssen erzählen von etwas, was über den Horizont geht. Und die Botschaft konnte auch und kann gar nicht verständlicher sein, wenn sie denn wirklich etwas ungeahnt Neues zu verkünden hat, nicht nur das, was sich Menschen ersehnen und erhoffen, sondern mehr als dies. Unserem Verfügen und feststellenden Begreifen muss es entzogen sein, wenn es wirklich so umstürzend neu sein soll: Fass mich nicht an, be-greif mich nicht, sagt der Auferstandene zu Maria Magdalena.

Andernfalls wäre jenes Neue, das mit Ostern anbrach, nicht wirklich neu gewesen. Beweisen können die Osterzeugen es nicht. Aber sie können es beglaubigen. Beglaubigen nicht von außen, sondern von innen her. Beglaubigen mit ihrem eigenen, ihrem veränderten Leben, das jetzt mit dem Ostermorgen beginnt. Und genau das haben sie getan. Sie, die ängstlich Versprengten, die paar Fischer und einfachen Leute mit ein paar wenig soliden Gestalten darunter, sie tun sich zusammen zur Gemeinde Jesu. Ohnmächtige und schwache Menschen waren und sind sie. Wie der Petrus, der Jesus verleugnet hat; und der Thomas, in dem der Zweifel nagt; und die Frauen, die voller Angst vom leeren Grab davongelaufen waren. Sie alle sammeln sich trotz allem zu Jesu Gemeinde. Durch ihn tragen sie Gott in ihrem Herzen – und reden deshalb Gottes Worte wie Propheten; sie teilen ihre Habe und haben so ein mitteilbares Leben; sie begraben ihren Ehrgeiz gegeneinander, schlichten Streit und versöhnen sich. Sie dienen einander, wie sie es von Jesus gesehen und gelernt hatten. So beglaubigen sie, dass das, wofür Jesus mit Leib und Leben stand, niemals vergangen und verloren sein kann, wenn Gott Gott ist.

Kein Wunder freilich, dass, wenn Gott selber im Spiel ist, sich Ostern und alles, was daraus folgt, dem menschlichen Verfügen entzieht, wie das bei Gott immer ist. Und weil uns alles andere überforderte, ist auch dieses Sich-Offenbaren durchs Verhüllen ins Menschliche noch Ausdruck seiner Behutsamkeit seinen Geschöpfen gegenüber. Einen solchen Gott sich nahe zu wissen, mag es einem leicht machen ums Herz auch in dunkler Stunde. Das ist mein Osterwunsch für Sie!