Der Glaube, die Gewalt und der Friede

Friedenswallfahrt Osterbrünnl/Ruhmannsfelden 2005: 2 Kor 5,20 – 6,1 + Joh 20, 19-23

I.

Was ist los mit dieser Welt? Es ist noch nicht so lange her, da fiel nicht weit von hier nach bleiernen Jahrzehnten der Eiserne Vorhang. Ein Konflikt, der die zwei politischen Großlager Ost und West mehrfach bis an den Rand einer atomaren Apokalypse geführt hatte, kam gewaltlos an ein Ende. Und niemand – auch die religiös Uninteressierten nicht – bestreitet, dass dabei die christlichen Kirchen in Ost und West und allem voran der Oberhirte der katholischen Kirche, der damalige Papst Johannes Paul II., eine zentrale Rolle gespielt haben. Ohne ihn und etliche katholische Bischöfe in Osteuropa, ohne viele evangelische Pastoren in der ehemaligen DDR, wäre die Mauer nicht und vor allem nicht ohne Blutvergießen gefallen. In Zusammenarbeit mit besonnenen und reformbereiten Politikern war der Traum von einer neuen, einer friedfertigeren Weltordnung in greifbare Nähe gerückt. Schon schwadronierten manche in Amerika vom Ende der Geschichte, d.h. davon, dass es mittelfristig weltweit nur noch eine Gesellschaftsform, nämlich die der westlichen, liberalen Demokratie geben werde.

II.

 Niemals vorher ist eine politische Großtheorie schneller und brutaler widerlegt worden als diese. Niemals mehr werden die Schreckens-bilder aus dem Gedächtnis der Menschheit weichen, wie am 11.9.2001 die Zwillingstürme des World Centers in New York in sich zusammenstürzen, von Todespiloten mit vollbesetzten Flugzeugen zur Explosion gebracht. Und mittlerweile wissen wir, dass das ein Anfang war: Madrid folgte, London und Scharm al Scheich in Ägypten mit dutzenden von Toten waren erst vorletzten Monat. Was wird als nächstes kommen? Nicht weniger schlimm als die Taten selbst ist, wie sie von den Tätern erklärt und von nicht wenigen – zum Teil mit heimlicher Befriedigung – verstanden werden: Dass sie nämlich nur Ausdruck jener Gewalt seien, die verborgen in allen Religionen stecke, die sich auf einen einzigen Gott berufen und dafür halten, dass man wahr und falsch im Leben unterscheiden müsse. Beim Islam bräche das eben deswegen derzeit hervor, weil die muslimischen Länder in der Mehrzahl von der Freizügigkeit der Spaßgesellschaft schockiert, vom Kapitalismus hoffnungslos abhängt ins Hintertreffen geraten, ihre Got-teswahrheit bestritten sähen. Und darum wüssten sich gläubige Muslime nur noch mit der Zerstörung dessen zu helfen, was sie ihrer Überzeugung nach selbst kaputt macht. Aber unterm Strich könnte das bei den anderen Religionen genauso geschehen und sei ja auch geschichtlich im Christentum oft genug der Fall gewesen: die Durchsetzung oder Verteidigung des Eigenen mit todbringender Gewalt gegen alle, die anders denken und glauben als man selbst. Kurz nach dem 11.9.2001 schrieb ein bekannter Soziologe in einer amerikanischen Zeitung: Die Welt mit Religionen des abrahamitischen Typs, also mit Judentum, Christentum und Islam zu füllen, sei ungefähr so, wie die Straßen mit geladenen Gewehren zu übersäen und sich dann zu wundern, wenn einer von ihnen Gebrauch macht.

III.

Doch selbst wenn es viele behaupten – stimmt das denn überhaupt, dass in den monotheistischen Religionen ein Kern von Gewalt schlummert, der nur darauf wartet, zum Ausbruch zu kommen? Wer nur ein bisschen näher zusieht, würde schnell entdecken, dass das schlicht und einfach falsch ist und weder für den Tenach, also die für Juden verbindliche Form des Alten Testaments, noch für die christliche Bibel aus Altem und Neuem Testament gilt. Und auch für den Koran nicht, wenngleich der Islam dafür noch jene Lesart seines Heiligen Buches lernen muss, die sich das Christentum mühe- und schmerzvoll errungen hat. Gewalt kommt tatsächlich in diesen heiligen Büchern vor – und nicht zu knapp. Und sie kommt deshalb vor, weil Gewalt ein Grundelement menschlichen Daseins ist. Gewalt wird dort in diesen heiligen Büchern auch mit Gott in Beziehung gebracht, weil Menschen offenbar nur in Bildern der Gewalt manches, was sie im Innern quält und zerreißt, und vor allem die Angst, die sie manchmal haben, zum Ausdruck bringen können. Aber schon das ganze Alte Testament hindurch etwa lässt sich beobachten, wie innerhalb der Überlieferung der biblischen Bücher die Bilder und die Rhetorik der Gewalt kritisiert und aufgesprengt werden. Denn je länger, je mehr reift die Einsicht: Wenn Gott wirklich die Welt und alles und alle, ja alle, auf ihr geschaffen hat, da kann er nicht ungerecht, kann er nicht parteiisch sein, die einen hochheben und die andern niedermachen, so dass wir uns im Kampf gegen sie auf ihn berufen könnten. Denn wenn Gott Gott ist, dann hält er auch die noch in seiner Hand, die uns als unsere Gegner und Feinde erscheinen. Aber dann sind sie gar nicht unsere Feinde, sondern sie sind – wie wir. Genau das hat, ausgerechnet in der Zeit der Bedrängnis des baylo-nischen Exils, der Prophet Jesaja öffentlich ausgesprochen, indem er sozusagen in Gottes Namen sagen durfte: Gesegnet sei Ägypten und Assur, das Werkzeug meiner Hände, und Israel, mein Eigen-tum, als dritter im Bunde (Jes 19, 25). Die ärgsten Feinde und Un-terdrücker, in Wahrheit, die einmal auch ganz herauskommen wird - in Wahrheit Geschwister in Gott. Und auch sie darum Gesegnete!

IV.

Und das Neue Testament setzt diese Gewaltkritik doppelt und dreifach fort: Nicht nur in Jesu Gebot der Feindesliebe, wie es sich in der Bergpredigt findet, sondern – wichtiger noch – in der ganzen Art, wie von Gott gesprochen wird und allem voran im Bekenntnis zur Menschwerdung. Denn Menschwerdung Gottes in Jesus Christus heißt doch: der, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, offenbart sich dadurch, dass er in einer buchstäblichen Karriere nach unten, einer Entsagung aller Größe, Macht und Majestät, sein Innerstes auftut, indem er sich an einen konkreten, einzelnen Menschen bindet. Christlich gesehen offenbart Gott seine größte Größe darin, dass er sich klein macht, klein macht bis hinab ans Kreuz auf Golgota, damit wir keine Angst haben, er könnte es nicht gut meinen mit uns. Und genau von daher auch kommt der unglaubliche Satz des Apostels Paulus aus der Lesung vorhin, mit dem er im 2. Korintherbrief seine Sendung und sein Selbstverständnis zusammenfasst: Wir bit-ten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! Wir bitten an Christ statt: Das heißt, dass Christus Bittsteller ist und wir, wir sind die Gebetenen. Ja mehr noch: Denn in Christus bittet Gott selbst, dass wir uns mit ihm versöhnen. Und der Apostel ist das nächste Glied in der Kette dieses Bittens. Ein Gott aber, der bittet, ist das Gegenteil einer Machtinstanz und taugt nicht, um sich für Gewalt auf ihn zu berufen. Geschähe und geschieht das dennoch, dann hat sich, wer das tut, Gott dafür zurechtgemacht und zurechtgedacht. Der biblische Name für einen solchen Gott heißt: Götze. Das sei al-len ins Stammbuch geschrieben, die mit Macht umzugehen haben, politisch und kirchlich. Denn natürlich gibt es überall, wo Menschen zusammen kommen, Macht. Macht hat mit Autorität zu tun, aber christliche Autorität kommt nicht aus der Gewalt, sondern ist immer erworben, erworben durch Vertrauen und verwurzelt in der Güte.

V.

Als am 19. April 2005 der Kardinaldiakon ans Fenster der Loggia von St. Peter trat und das „Habemus Papam“ verkündete, da gab es einen Augenblick der Verblüffung und dann ein Rätseln, als der Name des neuen Papstes erscholl: „… sibi nomen imposuit Bene-dictum XVI.“ – „… der sich den Namen Benedikt XVI. gab.“ Aber ich behaupte: Nichts passte besser in die Situation der friedlosen, von Gewalt erschütterten Welt unserer Tage als dieser Name: Denn er erinnert zum einen an den großen Mönchsvater Benedikt, der sein Leben als Einsiedler in den Grotten von Subiaco begann, zum Begründer der benediktinischen Bewegung wurde, der Europa ein Gutteil seiner Kultur verdankt, und der seiner geistlichen Gemeinschaft eine Regel gab von solcher Weisheit, dass sie sich heute selbst noch in der atemlosen Hektik der Globalisierung als unverbrauchte Richtschnur menschenwürdigen Daseins erweist. Und zum anderen lässt der Name Benedikt, an den letzten Papst zurückdenken, der diesen Namen trug: an Benedikt den XV. Und er war ein Friedenspapst, wie er sozusagen im Buche steht: Wissend um seine politische Ohnmacht, tat er alles, um zur Wiederherstellung des Friedens nach dem I. Weltkrieg beizutragen, nicht zuletzt auch, um den Besiegten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er begründete überdies eine tiefgreifende Neuorientierung der Missionsarbeit, die damit ernst machte, die Völker anderer Kulturen in ihrem Eigenen und ihrer Andersheit zu respektieren. Und er konnte in der Kraft seiner Güte und Fähigkeit zum Versöhnen beenden, was sein Vorgänger innerkirchlich durch Gesinnungsschnüffelei, Verketzerung von Theologen und autoritäres Gehabe angerichtet hatte. Und was täte uns heute mehr Not, als ein solcher Pontifex, zu deutsch: Brückenbauer des Friedens und der Versöhnung, der so nichts anderes wäre als ein neues Glied in der apostolischen Kette derer, die bitten an Christi statt. Und was könnte man Schöneres sagen von einem, der ein Amt innehat in der Kirche.

VI.

Dass freilich manchmal auch Bulldozer auftreten, die in ihrem Um-feld mit Machtallüren alles niederwalzen, das wird es wohl geben, so lange Menschen in der Geschichte unterwegs sind – wahrscheinlich immer dann, wenn einer meint, er könnte und müsste selber machen, was Gott allein vermag. Wenn die, die sich so gebärden, wüssten, wie lächerlich sie sich ausnehmen angesichts eines Gottes, der sich nicht zu gut ist dafür, seine Geschöpfe zu bitten, dass sie seine Hand der Versöhnung ergreifen – wenn sie das merkten, sie würden sich wohl eines anderen besinnen. Ganz abgesehen davon, dass das Gleiche schon rein menschlich gilt, bis ins Private hinein. Denn wer wären wir, wenn wir – die, die Christus bittet – nicht unsererseits jedem und jeder die Hand reichten, von denen uns etwas trennt, und umgekehrt nicht jede Hand erleichtert ergriffen, die sich uns entgegenstreckt! Friede und Versöhnung zwischen oben und unten und zwischen uns untereinander sind unteilbar. Nur durch sie hat unsere Menschenwelt Bestand. Darum sind sie jeden Tag neu unseres Betens mehr als wert.