Predigt zum Bild „Gottes Wort“ von Shahid Alam

Zeichenpredigt: Hochfest Johannes der Täufer

I

Heute feiern wir den Geburtstag des Täufers Johannes. Um diese Gestalt – ikonographisch untrennbar verbunden mit dem Phänotyp des wilden Eremiten, der sich von Heuschrecken und wildem Honig nährt und ansonsten in Kapuzinermanier vom Leder zieht –, um diese Gestalt ranken sich seit je Spekulationen. Zuletzt hat vor wenigen Jahren der Philosoph Christoph Türcke über ihn nachgedacht und versucht, mit dem Instrumentar der Freudschen Traumdeutung dieser Rätselgestalt und vor allem ihrem Verhältnis zu Jesus irgendwie näher zu kommen. Anlass für dieses Unternehmen war ihm das Gefühl, dass die Dinge so einfach nicht liegen, wie sie uns in den Evangelien erzählt werden: Johannes eben als der Vorläufer Jesu, der dann zurücktritt, wenn der Wanderprediger aus Nazaret nach seiner Taufe durch diesen Johannes seine eigene Tätigkeit aufnimmt. Und dann seine Hinrichtung durch Herodes – und Ende. Aber könnte es nicht sein, so der Philosoph, dass sich unter dieser glatten Oberfläche ein komplexes Drama verbirgt: etwa das Drama einer schwierigen Beziehung zwischen Jesus als einem Jünger des Johannes und diesem asketischen Propheten am Jordan, – das Drama, das darin besteht, dass sich Jesus irgendwann von diesem Gotteskünder trennt, ja trennen muss, weil er sich im Innersten gewiss wird, dass man von Gott noch anders, noch radikaler sprechen muss, als das der Täufer getan hat?

II

Mutmaßungen, gewiss. Man muss sie nicht teilen. Aber sie könnten Anlass sein, ein wenig genauer nachzudenken über das Zueinander beider Gestalten in der Geburtsstunde des Evangeliums. Etliche der Kirchenväter bewegten sich auf solchen Gedächtnisspuren, in besonderer Weise Augustinus, der Bischof von Hippo. In einer seiner Predigten heißt es mit Blick auf den Geburtstag des Täufers heute, genau sechs Monate vor dem Weihnachtsfest:

Damit der Mensch lerne, kleiner zu werden, wurde Johannes an dem Tag geboren, von dem an die Tage abnehmen; um uns begreifen zu lassen, dass Gott erhoben werden muss, wurde Christus an dem Tag geboren, von dem an die Tage wieder länger werden. Darin liegt ein tiefes Geheimnis.

Und an anderer Stelle bezieht sich Augustinus auf Geschichte aus dem Lukasevangelium, wie Johannes’ Vater, der Tempelpriester Zacharias, bei der Ankündigung der Geburt seines Sohnes stumm wurde, da er dem Verkündigungs-Engel nicht glaubte, aber dann anlässlich der Beschneidung des Johannes, da dieser seinen Namen erhält, seine Sprache wiederfand:

Wenn Johannes sich selbst angekündigt hätte, [schreibt Augustinus] hätte er nicht den Mund des Zacharias geöffnet. Die Zunge löst sich, weil die Stimme geboren wird. In der Tat: Stimme ist Johannes, während es vom Herrn heißt: Im Anfang war das Wort. Johannes ist Stimme für eine kleine Weile. Christus aber ist das ewige Wort seit Anbeginn.

Und man darf, man muss sich wohl dazu denken: Die Stimme ist Dienerin des Wortes, gewiss. Aber ohne sie würde das Wort auch nicht vernehmbar werden. Oder mit Blick auf die Verkündigung des Täufers und die Predigt Jesu gesagt: Ohne den Hintergrund des drastischen Gerichtsgemäldes des Johannes würde die Predigt Jesu von dem Gott, der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte und damit alle menschlichen Bilder von Gericht und Urteil sprengt, weil er zuerst und zuletzt durch Güte richtet, indem er die Sünder bestürzt durch seine Zuvorkommenheit – dieses Evangelium könnte ohne den Täufer gar nicht seine irritierende Wucht und, ja, wenn man es denn einmal zu glauben wagt, seine unendliche, tröstende Schönheit entfalten.

III

Etwas von all dem, will mir scheinen, kann man in dem Bild „Jesus – Gottes Wort“ von Shahid Alam wiederfinden, das seit einiger Zeit hier in unserer Dominikanerkirche rechts vom großen Kreuz hängt. Vor ziemlich genau einem Jahr war der aus Lahore in Pakistan stammende, seit vielen Jahren in Deutschland lebende Künstler mit einer großen Ausstellung von Kalligraphien hierher gekommen. In der Zeit der Vorbereitung hat er die beiden Bilder neben dem Kreuz – rechts „Gottes Wort“ und links als Spiegelbild „Gottes Geist“ – eigens für diese Ausstellung und diesen Raum geschaffen. Nicht zuletzt war das auch eine tiefe Geste des interreligiösen Dialogs: ein muslimischer Künstler gestaltet den Namen Jesu in arabischer Sprache: Denn das große, goldene Zeichen auf beiden Tafeln heißt „Isa“, der Name Jesu in der Sprache des Kor’an. Das Wort selbst hat – so erklärt der Künstler ausdrücklich – die Grundform des Kreuzes. Und um den goldenen Namen „Isa“ herum ist rechts hundertfach mit schwarzer Tinte geschrieben: kallimath-ullah, zu deutsch „Gottes Wort“. Im linken Spiegelbild heißt der dunkle Hintergrundtext ruh-ullah, „Gottes Geist“. Und das helle Rot des Hintergrunds zusammen mit dem Gold des Jesusnamens bedeutet, so der Künstler, Hoch-Zeit. Mir kommt jedes Mal, wenn ich die Bilder sehe, durch das lebendige Hintergrund-Rot, den wie eine Flamme empor-züngelnden Isa-Namen und das dunkle Geflecht des endlos wiederholten „Gottes Wort – Gottes Wort – Gottes Wort“ auch noch der brennende Dornbusch am Sinai in den Sinn, an dem in Mose dem Volk Israel, also den Vätern und Müttern des Christentums und des Islams, der wunderbare, nicht auszusprechende Gottesname offenbart wurde, der dann für die Christinnen und Christen im Gleichnis der Existenz Jesu ein menschliches Antlitz erhalten sollte.

IV

Es ist schon verrückt: Dieses Bild eines muslimischen Künstlers kann man als eine einzigartige christliche Predigt verstehen: Auf den Isa-Jesus-Namen hin sind all die vielen dunklen Gottes-Worte geschrieben, die da stehen. Einen Gutteil davon umgreift er, einige drängen noch über ihn hinaus. Christinnen und Christen glauben, dass in dem was Jesus sagte, was er tat und wie er war, aufleuchtet, wie Gott selber ist. Und dass von daher Licht fällt in die vielen dunklen Gottesworte, die in Ost und West überliefert werden, seit Menschen ein bewusstes Leben führen. Ein Schüler des Philosophen Schelling, heute leider vergessen, Ernst von Lasaulx, meinte einmal: der Katholizismus sei älter als die Schöpfung. Das ist natürlich ein wenig romantisch überdreht, aber ein Körnchen Wahrheit steckt darin: die Ahnung, dass, wo von Gott auf feinfühlige und weitherzige Weise gesprochen wird, das Suchen der Dichter, Denker und Propheten aller Kulturen seinen guten Platz findet. Und auch, dass manchmal fremde Stimmen Ureigenes treffender zu sagen vermögen als die vertrauten und selbstverständlich gewordenen Sprachspiele der eigenen Glaubensgemeinschaft.

V

Und wenn man so wie Shahid Alam mit dem Namen Jesu umgeht, so ehrfurchtsvoll in der Sprache der Kunst und der Schönheit, wird man auch daran erinnert, dass wir Christinnen und Christen mit dem Namen unseres Herrn auch ein wenig so Gebrauch machen sollten, wie das die Juden mit dem Gottesnamen tun. Ich bin wahrlich kein Verfechter der vorkonziliaren Liturgie, aber ich habe es immer bedauert, dass bei der letzten Gottesdienstreform das Fest des Namens Jesu ersatzlos weggefallen ist. Es wurde am ersten Januar, acht Tage nach der heiligen Nacht und damit am Tag der Beschneidung Jesu begangen – Papst Johannes-Paul II. hat es wieder so halb eingeführt und auf den dritten Januar gelegt (wo es niemand wahrnimmt).

„Jeshua“ heißt ja „Gott rettet“, oder „Gott befreit“, und in dem urchristlichen Lied, das der Apostel Paulus in seinen Brief an die Philipper eingebaut hat, heißt es von diesem Namen: Gott habe seinem Sohn dafür, dass er sein Gottsein nicht eifersüchtig festhielt, sondern sich klein machte und einer von uns wurde – jetzt wörtlich –… den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen,

damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde

ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt:

Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes des Vaters.

Vielleicht täte es unserem Glauben und Beten gut, wenn wir immer wieder einmal dieser Einladung folgten und uns vergegenwärtigten, was dieser uns so vertraute Name eigentlich besagt. Für die biblischen Autoren war immer klar, dass jemandes Namen zu kennen so viel bedeutet wie: dem Wesen des Namensträgers nahe zu sein und um es zu wissen. Und die scheue Ehrfurcht im Aussprechen des Namens behütet davor, dass daraus unter der Hand so etwas wie der Versuch eines Verfügenwollens über den mit dem Namen Benannten wird. Auch wenn wir dem Buchstaben nach wissen, was „Jeshua“ bedeutet, so bleibt dennoch das Geheimnis seines Trägers eingehüllt wie in einen Vorhang aus Licht – im Bild gegenwärtig durch den abgründigen Goldglanz der Hieroglyphe.

VI

Im Buch der Richter wird erzählt, wie ein Engel die Geburt des Simson ankündigt und von dessen Vater gefragt wird, wie denn sein Name sei, damit man ihn nach der Geburt des verheißenen Kindes ehren könne. Und die Antwort des befragten Gottesge-sandten, der ja seinerseits schon so etwas wie ein ferner Vorbote des Gottesboten schlechthin ist, lautet:

Warum fragst du nach meinem Namen? Er ist wunderbar. (Ri 13, 18)

Ich wünschte mir sehr, dass die Bilder Sie und mich, wann immer wir hierher kommen, auf die Spur der Ehrfurcht vor dem führen, der die Mitte unseres Glaubens ist. Das rechte Bild „Isa – kalimat-ullah“ ist bereits in Privatbesitz und bleibt hier als Leihgabe, so lange sich an diesem Ort eine Gottesdienstgemeinde versammelt. Es wäre sehr schön, wenn wir auch für das zweite Bild „Isa – ruh-ullah“ einen ähnlichen Weg fänden.