Synode - Wieder sehend werden

30. So B: Jer 31, 7-9 + Hebr 5, 1-6 + Mk 10, 46-52



I
Wenn es Zufall ist, dann ein providentieller oder etwas salopper gesagt: einer aus der Trickkiste des Heiligen Geistes. Heute vor drei Wochen begann in Rom die XIV. Ordentliche Bischofssynode zum Thema „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“. Auf den Eröffnungs-Sonntag traf das Evangelium, in dem die Pharisäer Jesus nach der Scheidungserlaubnis fragen und er ihnen mit dem Scheidungsverbot antwortet. Und heute, am Schlusstag der Synode, hören wir in der ersten Lesung aus dem Jeremia-Buch, dass Gott, diejenigen, die weinend kommen, tröstend geleiten wird; der Hebräerbrief der zweiten Lesung weiß um den Hohepriester, der fähig ist, für die Unwissenden und Irrenden Verständnis aufzubringen, da auch er der Schwachheit unterworfen ist; und im Evangelium macht Jesus einen Blinden, der um Erbarmen fleht, wieder sehend! Ob das ein Wink ist? Ein Wink an die in Rom versammelten Bischöfe – dass sie unerachtet der Klarheit der Prinzipien, weil sie doch selber Schwache sind, weiß Gott wie oft unwissend und irrend und darum der Barmherzigkeit bedürftig, – dass sie mit denen, die ihnen als Hirten anvertraut sind, ebenso tröstend, verständnisvoll und barmherzig umzugehen haben, zumal dort, wo deren Leben in Untiefen gerät und Brüche erleidet? Und dass sie eben dadurch sehend werden! Der Hirt der Hirten, Papst Franziskus, denkt ganz offenkundig schon lange in diese Richtung und ist deswegen wohl auch das atemberaubende Risiko dieser Synode eingegangen. Ob ihm die Mehrheit seiner Mithirten da folgen wird, ist noch längst nicht ausgemacht.

II
Ich denke, Sie wissen, dass sich unter dem auf den ersten Blick drögen Titel der Synode Tonnen von Sprengstoff verbergen: Da geht es eben nicht nur um die Frage: Wie umgehen mit den Gläubigen, die – zivil geschieden – wieder geheiratet haben und deswegen nach derzeit geltender Regelung von den Sakramenten ausgeschlossen sind. Da geht es auch um die Frage gleichgeschlechtlicher Beziehungen und Lebensgemeinschaften, aber genauso um die speziell die Kirchen Afrikas beschäftigende Frage der Polygamie. Es geht um die Frage, wie denn mit dem sich offenkundig wandelnden Begriff von Familie – Stichwort: Patchwork-Family – umzugehen sei. Ja, und es geht nicht zuletzt darum, ob denn in einer wirklichen Weltkirche mit 1,3 Milliarden Mitgliedern quer durch alle Kulturen Regeln formulierbar sind, die für alle auf gleiche Weise gelten – oder ob da notgedrungen nur ein Fake, eine Illusion herauskommen kann.

Dass meine Rede von „Sprengstoff“ soeben keine Übertreibung war, konnte man gut an dem beobachten, was in den letzten Monaten seit der Vorgänger-Synode zum gleichen Thema im September 2014 so alles geschah. Da wurden – vor allem medial – Schlachten geschlagen, die waren so etwas wie das globale Großformat der Kämpfe, die auch schon in der frühen Kirche, etwa auf dem Konzil von Nikaia, um den rechten Christusglauben ausgefochten wurden: Da hat man den berühmten Bischof Nikolaus aus der Versammlung verbannt, weil er einen Mitbischof am Bart gerissen haben soll. Und die Marktfrauen von Nikaia haben sich im Streit um die genauen christologischen Definitionen Krautköpfe an die Schädel geworfen.

So sinnenfroh ging es diesmal nicht zu, dafür aber in den Medien umso härter. Vor allem die sogenannten „Rechten“ taten sich da hervor. Zu den begnadetsten Polemikern gehören – wen wundert‘s – der deutsche Kurienkardinal Gerhard Müller, der unsägliche und darum von Franziskus auch schon längst abservierte amerikanische Kurienkardinal Raymond Burke, der afrikanische Kurienkardinal Robert Sarah und jetzt auch noch der Australier George Pell. Von dem Gehorsam, den die Eminenzen ansonsten wie eine Monstranz vor sich hertragen – natürlich den Gehorsam ihnen gegenüber – hier, auf sie bezogen, gegenüber dem Papst, keine Spur. Da wird gestänkert, was das Zeug hält. Müller neulich in einem Interview: Er, der Chef der Glaubenskongregation, habe die Aufgabe, dieses Pontifikat „theologisch zu strukturieren“. Auf Deutsch: Franziskus kann nicht „Papst“. Das würde locker für einen Rauswurf reichen. Davor aber hat ihn wohl Franziskus´ Vertrauen auf das Prinzip der Barmherzigkeit gerettet – und ein wenig die jesuitische Dialektik oder wenn Sie wollen: Schlitzohrigkeit –, dass einer, dem man etwas Freches durchgehen ließ, dann umso zahmer sein muss (dafür gibt es Indizien, wie wir gleich sehen werden).

Kardinal Burke entblödete sich vor ein paar Monaten nicht zu behaupten, Geschiedene, die wieder verheiratet sind, oder Homosexuelle, die ihre Orientierung leben, wären Mördern gleich, die jemand umgebracht hätten, aber zu anderen Menschen sehr nett zu sein verstünden. Kardinal Sarah, von dem man bisweilen den Eindruck hat, dass er von einer reaktionären Kamarilla gerade in Deutschland schlicht instrumentalisiert wird, gab kürzlich kund, die schlimmsten Feinde der Kirche, so schlimm wie die Tiere aus der Apokalypse des Johannes, seien ISIS und der westliche Genderwahn, der den Familienbegriff der katholischen Kirche zerstöre – und beide zusammengenommen seien schlimmer als der Kommunismus und der Nationalsozialismus zusammen. Und Pell, der Australier, den Franziskus selbst zum obersten Wirtschaftsminister des Vatikan gemacht hat, fiel zuletzt als Federführer eines Schreibens von 13 Kardinälen an den Papst auf, in dem sie diesen warnen, auch nur ein Jota an der bisherigen Lehre zu ändern.

III
Das ist eine geballte Phalanx, zudem gestützt von Medien wie der albernen „Tagespost“ aus Würzburg, dem unappetitlichen Denunziationsportal „kath.net“ aus Linz oder „chiesa.expressoline.it“ des reaktionären Journalisten Sandro Magister, in Italien (wobei man, das gestehe ich gerne, bei Letzterem mehr erfährt, als aus der ganzen deutschen Kirchenberichterstattung von SZ, FAZ und „Zeit“).

Andere Stimmen haben es demgegenüber ausgesprochen schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden. Aber es gibt sie, diese Stimmen – und sie haben viel zu sagen. Verdichtet kann man sie derzeit im deutschen Sprachzirkel der Synode wahrnehmen. 13 solcher Zirkel gibt es da momentan, vier englische, je drei französische und italienische, zwei spanische und einen deutschen. Alle Zirkel haben vorletzte Woche einen Zwischenbericht formuliert. An diesen Berichten wurde greifbar, wie da Welten auseinanderliegen. Der „Circulus Anglicus A“, also die Englischsprachige Gruppe 1 unter Leitung von Kurienkardinal Pell hat – ich muss das so sagen – als Bericht einen Din A4-Seite hingerotzt, die nichts besagt außer, dass alles so zu bleiben hat, wie es ist.

Völlig anders der Bericht des „Circulus Germanicus“, also der kleinen deutschen Sprachgruppe, der nach dem Urteil Vieler als das differenzierteste Statement gelten kann – und das ist umso erstaunlicher, als in dieser Gruppe Antipoden wie Kardinal Gerhard Müller und Kardinal Reinhard Marx aufeinandertrafen und es anscheinend dennoch gelang, das theologische Dumdum-Geschoß Müller einzufangen und für diesen bemerkenswerten Text zu gewinnen (das könnte eine Folge der jesuitischen Bergoglio-Dialektik sein). Es scheint mir keine Kaffeesatz-Leserei, in diesem Text besonders auch die Stimme unseres großen Nachbarbischofs Franz-Josef Bode aus Osnabrück herauszuhören.

IV
Ich möchte ein wenig aus diesem Text zitieren, weil er mir wegweisend scheint. Da heißt es unter anderem:

„Ausführlich haben wir die immer wieder als Gegensatz aufgefassten Begriffe Barmherzigkeit und Wahrheit, Gnade und Gerechtigkeit und ihre theologische Beziehung zueinander diskutiert. Sie sind in Gott keine sich gegenüberstehenden Gegensätze: Weil Gott Liebe ist, fallen in Gott Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in eins. Die Barmherzigkeit Gottes ist die grundlegende Offenbarungswahrheit, die nicht im Gegensatz steht zu anderen Offenbarungswahrheiten. Sie erschließt uns vielmehr deren tiefsten Grund, da sie uns sagt, warum Gott sich in seinem Sohn selbst entäußert hat und weshalb Jesus Christus durch sein Wort und seine Sakramente bleibend zu unserem Heil in seiner Kirche gegenwärtig ist. Die Barmherzigkeit Gottes erschließt uns damit den Grund und das Ziel des gesamten Heilswerkes. Die Gerechtigkeit Gottes ist seine Barmherzigkeit, mit der er uns gerecht macht.
Wir haben auch überlegt, welche Konsequenzen dieses Ineinander für unsere Begleitung von Ehen und Familien hat. Es schließt eine einseitig deduktive Hermeneutik aus, welche konkrete Situationen unter ein allgemeines Prinzip subsumiert. Im Sinne des Thomas von Aquin und auch des Konzils von Trient steht die Anwendung der Grundprinzipien mit Klugheit und Weisheit auf die jeweilige, oft komplexe Situation an. Dabei geht es nicht um Ausnahmen, in denen Gottes Wort nicht gültig sein soll, sondern um die Frage der gerechten und billigen Anwendung des Wortes Jesu – etwa des Wortes der Unauflösbarkeit der Ehe - in Klugheit und Weisheit.
Ein anderer Aspekt unserer Diskussion war […] die stufenweise Hinführung der Menschen zum Sakrament der Ehe, angefangen von unverbindlichen Beziehungen über unverheiratet zusammenlebende Paare und nur standesamtlich Verheiratete bis hin zur kirchlich gültigen und sakramentalen Ehe. Diese Menschen auf den unterschiedlichen Stufen seelsorgerisch zu begleiten, ist eine große pastorale Aufgabe, aber auch Freude.
Deutlich wurde uns auch, dass wir in vielen Diskussionen und Wahrnehmungen zu statisch und zu wenig biographisch-geschichtlich denken. Die kirchliche Ehelehre hat sich geschichtlich entwickelt und vertieft. […] Wie die geschichtliche Entwicklung der kirchlichen Lehre Zeit beansprucht hat, so muss die kirchliche Pastoral auch den Menschen heute auf ihrem Weg hin zur sakramentalen Ehe Zeit der Reifung gewähren und nicht nach dem Prinzip "Alles oder Nichts" handeln. Die Kirche steht dabei unausweichlich in dem Spannungsfeld zwischen einer notwendigen Klarheit der Lehre von Ehe und Familie einerseits und der konkreten pastoralen Aufgabe andererseits, auch diejenigen Menschen zu begleiten und zu überzeugen, die in ihrer Lebensführung nur teilweise mit den Grundsätzen der Kirche übereinstimmen. Mit ihnen gilt es Schritte auf dem Weg zur Fülle eines Lebens in Ehe und Familie zu gehen, wie es das Evangelium von der Familie verheißt. Notwendig ist dabei eine personal ausgerichtete Seelsorge, die die Normativität der Lehre und die Personalität des Menschen in gleicher Weise einbezieht, seine Gewissensfähigkeit im Blick behält und seine Verantwortung stärkt.
Es sollte jeder Eindruck vermieden werden, dass die Heilige Schrift nur als Zitationsquelle für dogmatische, juristische oder ethische Überzeugungen gebraucht wird. „Das Gesetz des Neuen Bundes ist das Werk des Heiligen Geistes im Herzen der Gläubigen […]. Das geschriebene Wort ist zu integrieren in das lebendige Wort, das im Heiligen Geist in den Herzen der Menschen wohnt. Das gibt der Heiligen Schrift eine weite geistliche Kraft.“ So weit das Zitat.

V
Das Alleraufregendste an diesem Statement steckt nach meiner Überzeugung in den Schlusssätzen dessen, was ich soeben zitierte: der Bemerkung zum Umgang mit der Heiligen Schrift: Nur wenn das geschriebene Wort mit dem schon im Herzen des Menschen wohnenden Gotteswort, das eine oder einer im Spruch seines Gewissens hört, zusammengeführt wird, bleiben wir vor dem bewahrt, was der polemischste der sogenannten „Neuen Atheisten“, Richard Dawkins, den christlichen Theologinnen und Theologen – und damit auch dem Lehramt – vorwirft: dass sie die Grenzlinie zwischen buchstäblicher und allegorischer, also übertragender Lesart biblischer Stellen im unkontrollierten Blindflug ziehen. Konkret: Warum wird das Jesus-Diktum, dass sich keiner auf Erden „Vater“ oder „Lehrer“ zu nennen habe oder dass, wen sein Auge ärgere, es ausreißen solle, allegorisch und metaphorisch verstanden, das Wort, dass wer eine Frau auch nur lüstern ansehe, genau wie das Scheidungswort aber buchstäblich? Wo sind da die Deutungsmaßstäbe? Die gibt es nur, wo Buchstabe und Herz zusammengehalten werden.
Dass er sich für eine solche Verbindung von Buchstabe und Herz stark macht, hätte – obwohl geschützt durch die Autorität des Hl. Bonaventura – bei dem blutjungen Theologen Joseph Ratzinger 1955 um ein Haar zum Scheitern seiner Habilitation geführt. Genau dieses Thema brodelt unter der Oberfläche der Synode wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Die Meisterleistung, die ab morgen, dem ersten Tag nach Synodenende, Papst Franziskus abverlangt ist, besteht darin, die Lavaströme, die jetzt kommen werden, in kontrollierte Bahnen zu lenken. Ich traue es ihm zu. Gott helfe ihm dabei.