Zum Segnen  gesegnet

Christi Himmelfahrt  C: Lk 24, 46-53   


I
Eine Geschichte erzählt von Rabbi Chama. Er war ein frommer Mann von großer Gelehrsamkeit und hatte in der ersten Hälfte seines Lebens außergewöhnlich viele Schriften und Kommentare verfasst. Danach aber, in der zweiten Lebenshälfte, so wird erzählt, sei er damit beschäftigt gewesen, aus seinem Schriftwerk alles zu tilgen, was nicht mehr vor seinem Urteil bestehen konnte, weil es ihm zu ungenau oder zu unsicher erschien. Das tat Rabbi Chama so schonungslos, dass gegen Ende seines Lebens fast alles, was er geschrieben hatte, wieder durchgestrichen war. Seine Schüler weinten, als er seine Schriften Bündel um Bündel in den Ofen seines Hauses warf. Der Rabbi selber wurde immer fröhlicher dabei. Bald nachdem er das letzte Bündel verbrannt hatte, starb er. Seinen Schülern hinterließ er ein einziges Blatt. Darauf hatte er in großen Buchstaben geschrieben: Der NAME! Geheiligt sei er. – Alsbald erkannten die Schüler, was das Vermächtnis bedeutete: In dem einen und heiligen unaussprechlichen Namen Gottes blieb alles bewahrt und gegenwärtig, was ihr Lehrer gelebt, geglaubt, gedacht hatte.

II
Die Weisheit eines ganzen Lebens verborgen in einem einzigen Namen, dem Gottesnamen. Und wer ihn ehrt, hat selber teil an dieser Weisheit. Das war tröstlich für Chamas Schüler. Denn offenkundig konnte so auch durch den Tod des Meisters seine Einsicht in das Geheimnis Gottes nicht verloren gehen.

III
Ganz ähnlich erzählt uns Lukas den Abschied Jesu von seinen Jüngern. Wir sagen „Himmelfahrt" dafür. Die Bilder, die das Wort in uns zumeist wachruft, verstellen gern, was es eigentlich meint. Himmelfahrt bedeutet eigentlich nur: Jesus ist nach seinem irdischen Leben wieder ganz bei Gott. Viel wichtiger als dieses Wort ist das, was Jesus in dieser Abschlussgeschichte des Evangeliums tut:

Noch einmal erinnert er sie daran, dass alles, was mit ihm geschehen ist, ganz dem entspricht, was in der Schrift, also im Alten Testament steht; dass der Messias leiden musste, dass er am dritten Tag von den Toten auferstand, dass in seinem Namen alle Völker zur Umkehr und zur Vergebung der Sünden eingeladen werden. Das alles entsprang dem Willen Gottes. Dieser Wille Gottes hatte ein einziges Ziel: Die Menschen wieder mit Gott zu versöhnen, sie heimzuholen in die Gemeinschaft mit ihm, so wie sie von Anfang der Schöpfung an gedacht war. Und er hat dieses Ziel immer noch: Darum sollen nun sie, die Freunde Jesu, die ersten, die dieses Angebot Gottes ergriffen haben, diesen Willen Gottes weitertragen in die Welt und die Geschichte hinein. Sie sollen verkünden und bezeugen, was Gott durch Jesus getan und was er für alle übrig hat. Gott selber, verspricht Jesus, wird sie dafür ausrüsten mit dem Geist der Ermutigung und der Stärke, so dass – um es mit einem Wort von Papst Franziskus zu sagen – sie angstlos bis an die Peripherie der Welt und des Denkens gehen können.

Und dann erhebt er die Hände, segnet sie, und indem er sie segnet, verlässt er sie – emporgehoben in den Himmel. Anders gesagt: Für Lukas sind Himmelfahrt und Segensgeste eins. Im Segnen geht er – und bleibt zugleich da. Denn der Segen verbindet den Segnenden und die Gesegneten auf engst mögliche Weise, geradezu unzerreißbar. So wie Eltern ihren Kindern oder Partner einander ein Kreuz auf die Stirn zeichnen, wenn einer weggeht und damit zum Ausdruck bringen: Du bist Gott anvertraut. Er behütet dich und wir werden uns wiedersehen. Bedenken Sie: Das stimmte sogar, wenn der eine oder die eine weil ihm etwas zugestoßen wäre. Sie werden sich ja trotzdem wie-dersehen, bei Gott.

IV
Auf eben diese Weise geht auch Jesus von den Seinen. In seinem Segen ist alles zusammengefasst, was er gesagt, gebracht, gewollt hat. Wie bei Rabbi Chama alles Geschriebene seines Lebens im Gottesnamen zusammengefasst war. Jesus wollte sein und war ein einziger Segen für die, die sich ihm öffneten. Darum ist sein Vermächtnis einfach ein Segen. Die Jünger verstanden das; darum heißt es, dass sie mit großer Freude nach Jerusalem zurückkehrten, obwohl sie gerade Abschied genommen hatten von Jesus.

V
Und noch eines hatten die Jünger verstanden: Jesus hatte ihnen ja aufgetragen, Zeugnis von ihm und für ihn zu geben. Wenn er für sie Segen war, dann kann dieses Zeugnis in nichts anderem bestehen als darin, dass sie selber für andere zum Segen werden. Nicht zufällig erzählt Lukas die Himmelfahrt ja wie das Endes eines Gottesdienstes: Die letzten Worte des Priesters, dann der Segen, und dann gehen die Gläubigen wieder in ihr Leben und in den Alltag hinein – als Gesegnete, also mit der Zusage, auch da mit Gott verbunden zu sein und darum auch da seinen Willen tun, also am Werk der Versöhnung mitwirken zu können.

Segen sein und Segen wirken macht darum das Wesen der Kirche aus, im Großen wie im Kleinen. Und da wir als Getaufte nicht einfach in der Kirche sind, sondern Kirche sind, ist ebendies auch der Lebensauftrag jeder und jedes Einzelnen seit der Himmelfahrt: Dass wir einander ein Segen sind. Was für eine Berufung!  Welche Größe hat uns kleinen Menschlein Gott doch zugedacht, indem er uns so mitwirken lässt an seinem Heilswerk.

VI
In der zweiten Lesung aus dem Epheserbrief klingt in den Worten des Paulusschülers, der dieses Schreiben verfasste, etwas wider von dieser überwältigenden Einsicht. Er bittet Gott, den Vater der Herrlichkeit, dass er unsere Herzen erleuchte, damit wir verstehen zu welcher Hoffnung wir berufen sind und welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen – also uns – schenkt. Es kann ja nichts Kostbareres für uns geben als den Segen des Himmels, der uns als Gesegnete befähigt Segen füreinander zu sein.

Und wie sehr dürsten Menschen nach Segen in einer Welt, wo aus Unachtsamkeit, manchmal einfach auch aus bösem Willen so viel Unheil angerichtet wird! Vielleicht ist es das, was vielen Menschen am meisten fehlt und sie deshalb unruhig und unzufrieden sein lässt, immer unterwegs zu einem Höher und Größer und Reicher und Mehr. Sich gesegnet zu wissen, daraus erst erwächst jener Friede der Seele, der uns einverstanden sein lässt mit unserem vergänglichen Leben und selbst noch dunkle Stunden zu ertragen vermag im Wissen: Gottes Segen, Gottes Zuwendung wird mir nie entzogen sein. Auch und gerade dort nicht, wo ich das nicht mehr sehen oder spüren kann. Und dass ich aus Glauben eben dies auch anderen sagen und bezeugen darf. Du bist eine Gesegnete, ein Gesegneter für immer und unverlierbar.

Ein namentlich unbekannter Autor hat diese unsere Segenssendung so zusammengefasst:
Christus hat keine Hände, nur unsere Hände,
um seine Arbeit heute zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße,
um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen,
um den Menschen von ihm zu erzählen.
Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest.
Wir sind Gottes letzte Botschaft,
in Taten und Worten geschrieben.