Die religiöse Tiefengrammatik des Sozialen

Institut für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften

Durchführender: Prof. Dr. Hans-Richard Reuter

Direktor des Instituts für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften

Die Debatten um das Selbstverständnis und die Wertgrundlagen des 'europäischen Sozialmodells' spielen in den Identitätsbildungsprozessen der Europäischen Union eine elementare Rolle. Die modernen europäischen Wohlfahrtsstaaten sind aus komplexen Kooperations-. Bekämpfungs- und Transformationskonstellationen zwischen Staat und religiösen Glaubensgemeinschaften entstanden, die bisher nur anfangsweise aufgearbeitet worden sind. Unübersehbar ist, dass die normative 'Tiefengrammatik' des modernen Wohlfahrtsstaates in hohem Maße, wenn auch in hochgradig diffuser Weise, durch religiös vermittelte Wohlfahrtsimpulse und Wertmuster geprägt worden ist – und bis heute geprägt wird, wobei sich das Spektrum beteiligter Konfessionen und Religionen durch die Arbeitsmigration und die Individualisierung moderner Religiosität deutlich verbreitert hat.

Die Erhebung der 'religiösen Tiefengrammatik' moderner Wohlfahrtsstaatsarrangements hat es mit einer komplexen Gemengelage zu tun. Da der national und regional unterschiedliche Einfluss bestimmter Religionen und Konfessionen oder Strömungen, der spezifische Typus des jeweils ausgebildeten Wohlfahrtsmodells sowie die Differenzen und unterschiedlichen Wirkungsweisen innerhalb der religiösen Gemeinschaften zu berücksichtigen sind, ist eine zweistufige Vorgehensweise geplant. Zunächst wird die vergleichsweise vertraute und in ihren Quellen gut zugängliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland fokussiert; in einer zweiten Ausbaustufe soll sich der Blick dann auf weitere Typen europäischer Wohlfahrtsstaatlichkeit richten. Während das vergleichsweise schmale Segment an religiösen Einflüssen interessierter neuerer Wohlfahrtsforschung in der Regel eine ausschließlich sozialwissenschaftliche Perspektive verfolgt und auf Westeuropa begrenzt ist, geht es hier um eine geographische und perspektivische Ergänzung dieser Sichtweise. Einerseits soll die bisherige Forschung durch den Blick nach Ost- und Südosteuropa erweitert werden. Andererseits verfolgt das Projekt das Ziel, die theologische Perspektive, gleichsam die Binnensicht der religiösen Gemeinschaften, in das Gesamttableau zu integrieren.
Das Projekt ist Teil des Forschungsfelds 'Normativität' des Exzellenzclusters 'Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne'