Blick ins Jahr 2020: Von Windkraft und Brennstoffzellen

von Dr. Norbert Allnoch 
Beitrag erschienen in der Tageszeitung Die WELT, 05. März 1999, S. 32 
11. Teil der WELT-Serie "Zukunft der Energie" 


Münster - Freitag, 6. März 2020; sechs Uhr morgens: „Ein Tiefausläufer zieht mit Regen heute nachmittag über uns hinweg. Windstärke 4 - 5, Solareinstrahlung bis 100 Watt pro Quadratmeter. Höchsttemperatur 19 Grad - für die Jahreszeit  zu kalt", tönt es aus dem Wetterkanal. Werner Schmidt liebt Wetterprognosen. Windstrom ist heute angesagt, nicht Solarstrom, murmelt er. 
   Schmidt ist Direktor bei der weltweit agierenden SOLWATT AG, die ihre Geschäftsaktivitäten neu ausgerichtet und jetzt auf die drei Kernbereiche Solarzellen, Regenerativer Stromhandel und Kommunikation konzentriert hat. Der Stromhandel ist derzeit das Sorgenkind des Unternehmens. Nicht das  physische Basisgeschäft, sondern das  Handelsgeschäft mit Derivaten ist der Verlustbringer. Seitdem sich die Aktivitäten zunehmend auf Termingeschäfte für Wind- und Solarstrom verlagert haben, sind  zuverlässige Wetterprognosemodelle von entscheidender Bedeutung. Und da hat die Konkurrenz eindeutig die Nase vorn. 
   Die Solarzellensparte hat sich dagegen prächtig entwickelt. Die neue  Fertigungslage hat eine Jahreskapazität von 250 Megawatt. Die Exportquote liegt bei 70 Prozent. Wieder auf Expansionskurs ist die Kommunikationssparte, seitdem alle Synergieeffekte  genutzt werden. Die solarbetriebenen hochmobilen Sende- und Empfangsstationsanlagen für dünnbesiedelte Gebiete sind ein echter Exportschlager. 
   Eigentlich wollte Schmidt heute mit seinem Speedy M7 ins Büro fahren, aber der ist noch in der Werkstatt. Irgendein Defekt an der Brennstoffzelle. Deshalb logged sich Schmidt über sein sprachgesteuertes CC (Communication-Center) in den Firmencomputer ein. Das EU-Wirtschaftsbarometer signalisiert neue Inflationsgefahren. Die Experten sind sich aber uneins, ob die Zinsen infolge der steigenden Ölpreise weiter anziehen und warnen bereits vor den negativen Folgen der geplanten Steuer auf Methanol und Wasserstoff. 
   Positive Meldungen kommen dagegen vom Wind-, Bio- und Solarmarkt. Für das Jahr 2021 wird weltweit eine PV-Jahresleistung von 8.000 Megawatt und eine Steigerung des Marktvolumens auf 25 Milliarden Euro erwartet. Die Börse honoriert positive  Meldungen. Seitdem die SOLWATT AG  bekanntgegeben hat, daß sie ein neues Verfahren entwickelt hat, mit dem zukünftig die Laptop-Deckel mit einem effizienteren  Solarzellenfilm versehen und dieser kostengünstiger aufgetragen werden kann, ist der Aktienkurs kräftig gestiegen. 
   Nach der Morgenlektüre denkt Schmidt darüber nach, wie er die Verabschiedung von Meyer gestalten soll. Der ist schon seit 10 Jahren im Unternehmen und geht jetzt in den verdienten Ruhestand. Vielleicht sollte er einmal die Entwicklung der regenerativen Energiewirtschaft darstellen und spricht das Stichwort in sein CC ein: „Versuchen Sie es im Archiv am Institut für Theorie und Geschichte der Regenerativen Energiewirtschaft." 
   1990 - 2000: Im Bonner Bundestag wird in Deutschland im Jahr 1990 über die Einführung eines Stromeinspeisungsgesetzes nachgedacht. 1995 wird die Dritte Wärmeschutzverordnung eingeführt. Die Windindustrie weist von den regenerativen Technologien die höchsten Wachstumsraten auf und erzielt zum Ende der Dekade weltweit einen Jahresumsatz von über 2 Milliarden Euro. 
   2000 - 2010: Die Ölpreise bleiben  zunächst niedrig und pendeln  weiterhin zwischen 10 und 20 Dollar je Barrel. Im Bundesstaat Deutschland wird die Steinkohlesubventionierung abgebaut, der Strukturwandel setzt sich fort. Die ersten Solarfabriken nehmen ab 2000 in Deutschland die Produktion auf und legen somit den Grundstein für die heutige industrielle Vormachtstellung. Eine EU-Klimaschutz-richtlinie wird verabschiedet, die bis zum Jahr 2009 in nationales Recht umzusetzen ist und der Berliner Bundestag beschließt nach kontroverser Diskussion ein Energie-Audit-Gesetz. 
   2010 - 2020: Die Einführung der Brennstoffzellen in Pkws wird steuerlich begünstigt, seitdem das Nordseeöl zur Neige geht und die Ölpreise aufgrund der mächtigen OPEC wieder steigen. Die Bauern setzen bei der EU höhere Garantiepreise für Raps zur Produktion von Biodiesel durch. 2015 werden erstmals Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 15.000 Megawatt produziert. 
Schmidt  hat sich alles im CC notiert und logged sich in die Werkstatt ein, um den Stand der Reparaturen an seinem Auto zu verfolgen. „Wir können Ihnen das Auto bis um 15.30 Uhr vorbeibringen", sagt eine freundliche Stimme. Schmidt geht aus dem Haus, um den Wagen in Empfang zu nehmen. Die Sonne lacht vom strahlend blauen Himmel. Schmidt stutzt und erinnert sich an den morgendlichen Wetterbericht und sinniert: „Alles wird ja irgendwie gut, nur manchmal kommt es eben doch anders als man denkt". 
(iwr) 
IWR-HomeWindenergieEnglishEmail/Kontakt