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„Menschen sind viel physikalischer als sie denken“

Im Labor mit Prof. Carsten Fallnich / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Prof. Dr. Carsten Fallnich, Mitglied des Exzellenzclusters "Cells in Motion" und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Angewandte Physik der Universität Münster

Herr Prof. Fallnich, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

Wir entwickeln optische Technologien, bauen zum Beispiel neue Laser oder Mikroskope aus mehreren hundert Einzelteilen wie Linsen, Spiegeln oder Kristallen auf, unter anderem auch für Anwendungsfragen von Biologen. Unsere Mikroskope basieren meistens auf dem Raman-Effekt. Dabei messen wir, wie sich die Farbe, also die Wellenlänge, des eingestrahlten Lichts verändert, nachdem es auf ein Molekül getroffen ist. Diese Änderungen lassen sich messen und in Bilder übersetzen. Für diese Art der Mikroskopie werden keine Marker benötigt. Denn die sind manchmal hinderlich, weil sich Moleküle mit angehefteten Markern nicht immer natürlich verhalten. Wir arbeiten in unseren Laboren an mehreren unterschiedlichen Aufbauten. Mit einem soll sich etwa untersuchen lassen, wie hoch der Zerstörungsgrad der DNA in Spermien ist. Mit einem anderen wollen wir das Aderwachstum im Auge visualisieren. Und in einem CiM-Projekt untersuchen wir mit der Gruppe von Volker Gerke das Anordnungsverhalten von Lipiden in künstlichen und zellulären Membranen. Lipide sind so klein, dass Marker das ursprüngliche Verhalten von Lipiden verändern würden, so dass die Raman-Mikroskope hilfreich sein sollten für die Untersuchungen der Biologen, Biochemiker und Mediziner.

Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?

Ich fühle mich manchmal immer noch wie ein Student, bis ich realisiere, wie viel Erfahrung ich doch schon über die Jahre sammeln konnte. Gleichzeitig konnte ich mir aber meinen kindlichen Forscherdrang erhalten und versuche, junge Leute damit anzustecken. Deshalb bin ich an die Universität gekommen. Dieses Vorhaben ist aber manchmal wie das Freischlagen eines Weges im Dschungel: Sobald man ihn freigeschlagen hat, muss man wieder von vorne beginnen. Das ist mühsam, lohnt sich aber. Was mich außerdem persönlich an der wissenschaftlichen Arbeit begeistert, ist, dass sie keine Frage nach der Herkunft eines Forschers stellt. Der Erfolg hängt nicht vom Rang, von der Position oder etwa dem Portemonnaie der Eltern ab, sondern nur vom eigenen Denkvermögen, von guten Ideen und Fleiß.

Was ist Ihr großes Ziel als Wissenschaftler?

Ich konzentriere mich auf kleine Ziele und Schritte, die vielleicht irgendwann zu etwas Größerem führen können. Wenn man dann ein solches Ziel erreicht hat, ist das aber nie der Verdienst von einem allein, sondern immer eine Schwarmleistung. Ich bin überzeugt davon, dass wir im Kollektiv viel bessere Dinge erreichen als jeder einzelne allein, auch wenn meistens die Ideen von Einzelnen ausgehen müssen.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftler?

Der beruflich am stärksten einschneidende Moment war sicherlich die Doktorarbeit. Danach war jeder Schritt vergleichsweise einfach. Persönlich ist mein größtes Glück, dass ich meine Familie habe und dass meine Frau und unsere Kinder gesund sind.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Ich habe einmal im Verbund mit anderen Wissenschaftlern einen Forschungsantrag geschrieben. Der wurde abgelehnt mit dem Hinweis, dass man erst einen bestimmten renommierten Preis mit seiner Forschung wie ein namentlich erwähnter Wissenschaftler gewinnen sollte, bevor ein solcher Antrag bewilligt werden könnte. Das hat mich sehr frustriert, denn eigentlich sollten bei einem solchen Antrag doch allein die guten Ideen entscheidend sein.

Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?

Ich finde die Astronomie faszinierend; wie die meisten Menschen stelle ich mir solche Fragen wie: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Ich habe bis zum Jahr 2005 mit Kollegen des Albert-Einstein-Instituts in Hannover zusammengearbeitet und dort immerhin einen kleinen Beitrag zur astronomischen Forschung mit Gravitationswellen leisten können. Diese großen Projekte, die zugehörigen riesigen Messinstrumente und die benötigte Präzision finde ich nach wie vor toll.

Auf welche große ungelöste Frage hätten Sie gern eine Antwort?

Wie viel unseres menschlichen Verhaltens lässt sich mit Physik erklären? Menschen sind viel physikalischer als sie denken. Physikalische Gesetze finden sich in vielen Bereichen unseres Lebens wieder. Wenn sich Politiker zum Beispiel einmal eine Diffusionsgleichung hernehmen würden, dann müssten sie eigentlich erkennen, dass sich große Ungleichheiten in einem durchlässigen System auf Dauer ausgleichen müssen, damit beispielsweise die Stimmung in der Bevölkerung positiv und stabil bleibt.

Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?

Kunst kommt für mich von Können. Und wir müssen viel handwerklich können für unsere Wissenschaft, wenn wir etwa unsere Laser aufbauen und justieren oder Glasfasern miteinander verbinden. Der Aufbau und die Entwicklung der Technik ist aber nicht reines Handwerk. Man braucht auch einen Schuss Mut, um Dinge zu machen, die auf den ersten Blick vielleicht ins Nichts führen, von denen man aber überzeugt ist.