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„Wissenschaftler haben die Pflicht, Humboldts zentrale Idee hochzuhalten“

Im Labor mit Prof. Ryan Gilmour / Interviewreihe des Exzellenzclusters "Cells in Motion"
Prof. Dr. Ryan Gilmour, Cells-in-Motion-Professor für Chemische Biologie und Leiter der Arbeitsgruppe „Molecular Design“ am Organisch-Chemischen Institut der WWU
© privat

Herr Prof. Gilmour, mit welcher wissenschaftlichen Frage beschäftigen Sie sich aktuell?

Meine Forschungsgruppe interessiert sich für „molekulare Designs“. Damit wollen wir Probleme der Katalyse und der Medizin angehen. Aktuell investieren wir viel Zeit in die Entwicklung von bestimmten Kohlenhydraten, die in der nicht-invasiven molekularen Bildgebung angewendet werden. Das ist eine faszinierende Art von Biomolekülen, die alle Aspekte des Zellverhaltens steuern. Allerdings ist es extrem schwierig, einen genau definierten Zugang zu diesen Molekülen zu finden.

Was macht Sie als Wissenschaftler persönlich aus?

Ich bin von Natur aus neugierig – wie die meisten Wissenschaftler, vermutlich.

Welches große Ziel haben Sie als Wissenschaftler?

Dass Forschung und Bildung ständig miteinander verschmelzen. Meiner Meinung nach haben Wissenschaftler die Pflicht, Humboldt nachzuahmen, also die zentrale Idee seiner Weltanschauung – die Allgemeinbildung – hochzuhalten. Mein Hauptziel als Lehrer und als Wissenschaftler besteht darin, sicherzustellen, dass alle meine Doktoranden am Ende ihres Studiums diese Idee verinnerlicht haben.

Was ist Ihr liebstes technisches Forschungsspielzeug und was kann es?

Alle, die mit der organischen Chemie zu tun haben, werden wohl wie ich der Meinung sein, dass die Kernspinresonanzspektroskopie das allerbeste „Spielzeug“ ist! Diese Technik liefert uns hochwichtige Informationen über Struktur und chemische Umgebung.

Erinnern Sie sich an Ihren größten Glücksmoment als Wissenschaftler?

Die Frage lässt sich leicht beantworten. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie mich eine Mischung aus Glück und Erleichterung überkam, als ich erfuhr, dass meine erste, selbstständig verfasste Veröffentlichung publiziert werden sollte. Das war 2009.

Und wie sah Ihr größter Frustmoment aus?

Mich frustriert, dass Institute, die Forschung fördern, immer mehr die Freiheit von Wissenschaftlern beschränken. Man muss ständig Vorschläge an Konzepte anpassen, anstatt einfach das vorliegende Problem anzugehen.

Welches wissenschaftliche Phänomen begeistert Sie heute noch regelmäßig?

Ich hatte die Ehre, im Umfeld von Albert Eschenmoser zu arbeiten, dem emeritierten Professor für Organische Chemie an der ETH Zürich. Seine Beiträge zu einem Verständnis des Ursprungs des Lebens waren bahnbrechend. Das Thema interessiert mich noch heute, und ich lese die relevanten Publikationen mit großem Interesse, auch wenn ich diesem Bereich nicht tätig bin.

Auf welche große, wissenschaftliche Frage hätten Sie gern eine Antwort?

Was ich richtig faszinierend finde, ist die Chemie des Bewusstseins und die klaren Implikationen, die dieses Thema für die Entwicklung des Menschen hat. Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, wenn bedeutende Durchbrüche bekanntgegeben werden können.

Wie viel Kunst, Kreativität und Handwerk steckt in Ihrer Wissenschaft?

Meine Studierenden entwerfen und konstruieren Moleküle, die über maßgeschneiderte Eigenschaften für spezielle Funktionen verfügen. Das erfordert ungemein viel Kreativität. Denn sie müssen aus einfachen Bausteinen eine Synthesestrategie konzipieren. Die synthetische organische Chemie ist ohnehin eine Kunst für sich. Sie erfordert Disziplin, Geduld und große Zielstrebigkeit, um das endgültige Meisterstück zu kreieren!