PJ in Saint-Pierre auf der Ile de la Réunion- so lässt es sich leben!

Bonzour à zot! Comment i lé?

Wer denkt, dass er/sie die französische Sprache nun endlich beherrscht, wird auf dieser kleinen Insel eines besseren belehrt. Hier wurde die französische Sprache nämlich dem Prozess der sogenannten ,,Kreolisierung“ unterzogen, was in der Praxis dazu führt, dass man zwar denkt, man höre gerade Französisch, aber bei genauerem Hinhören nur lediglich ein paar einzelne Wörter versteht!

So manch einer realisierte erst auf réunionnaisischem Boden, dass er/sie es hier mit einer völlig anderen Sprache zu tun hat. Gut, dass die kontaktfreudigen Réunionnaisen jedoch fast alle das Französische beherrschen und somit die französische Sprache in diesem Auslandsaufenthalt mit Sicherheit nicht zu kurz kommen sollte.

Wer sich nun wagemutig in den Flieger gesetzt hat und nach einer ca. 9-stündigen Flugreise von der Nordhalbkugel über den Äquator bis zur Südhalbkugel nun endlich die kleine Insel inmitten des indischen Ozeans erreicht hat, wird schnell merken, dass nicht allein die Sprache etwas ganz Besonderes ist. Auch wenn die 835.103 einwohnerstarke Insel dem Laien erst einmal sehr klein erscheint, sollte ihr Reiz nicht unterschätzt werden. Das Kennenlernen von Menschen, Identitätsgefühl, Arbeitsleben, Aktivitäten, Kultur, Geschichte und die großartige Natur der Réunion sind in meinen Augen von nahezu unvergleichlich bereicherndem Wert.

 

Die Menschen und Wohnen

Die Réunionnaisen sind ein kunterbunt gemischtes Volk (aus Madagaskanern, Indern, Franzosen und zu einem kleinen Teil auch Chinesen) und genauso bunt und lebendig ist ihre Lebenseinstellung. Unsere Vermieter (ein chinesisch-französisch abstammendes Paar namens Paul und Linda) vermittelten uns den ersten réunionnaisischen Eindruck. Paul holte uns ganz selbstverständlich mit seinem Auto vom Busbahnhof in Saint Pierre ab, während Linda uns mit einem réunionnaisischen Reisgericht in der Wohnung bereits erwartete. Sie führten uns durch die 4-Personen-Wohnung, erklärten uns wo man seine Lebensmittel besorgen sollte, was wir unbedingt auf der Insel alles erkunden sollen und wie wir zum Krankenhaus kommen (er wäre am liebsten mit uns einmal hin gefahren). Hier, in der 27 Rue Georges Moy De Lacroix in Terre Sainte, waren wir bei ,,Ti Paul“ sehr gut und preiswert (ca. 330€/Person/Monat zu dritt) untergekommen und wurden nur so überschwemmt von Hilfsbereitschaft. Der Start hätte nicht besser sein können. Andere PJ-ler sind auch sehr gut in einer von beiden Wohnungen von Cyril untergekommen (ca. 500€/Person/Monat). Diese Wohnungen können jeweils bis zu 6 Personen beherbergen und besitzen ihren ganz eigenen WG-Charme. Hier wurden definitv die besten Partys gefeiert! Ansonsten bietet leboncoin.fr wie für jegliche Angelegenheiten (wir haben zum Beispiel uns ein Fahrrad über diese Seite besorgt) eine gute Adresse um sein kleines Heim zu finden.

Terre Sainte in Saint-Pierre stellte sich als optimaler Wohnort für das PJ heraus. Von hier aus war alles fußläufig erreichbar: das Krankenhaus, der Strand, der Stadtkern, die Sporttreffpunkte, die Partymeile und der Markt. Nur der Hauptbusbahnhof war mit 30min Gehweg etwas weiter weg – aber machbar. Auch gilt St-Pierre als kultureller Hotspot der Réunion und bietet ein tolles Angebot an Freizeitmöglichkeiten.

 

Das Identitätsgefühl

Obwohl die Réunionnaisen ursprünglich von mehreren Kontinenten abstammen, in denen die kulturellen Unterschiede nicht größer sein könnten, findet sich in der Réunion eine glückliche Symbiose all dieser Kulturen. Sie bezeichnen sich alle als Franzosen mit dem Extra der kreolischen Kultur. Es wird Wert auf Gastfreundlichkeit, Bescheidenheit, Brüderlichkeit, Nächstenliebe, Optimismus und Lebensfreude gelegt. So kam es passenderweise zum Inselmaskottchen: dem Dodo. Dieses (leider ausgestorbene) Tier kennzeichnete sich durch sein unbedingtes Vertrauen und Gutmütigkeit aus. Auch reihen sich neben Buddhatempel hinduistische Tempel, christliche Kirchen und muslimische Moscheen. Als Frau muss man sich nicht scheuen, in sonst verbotene Gebetstätten einzutreten und die Frage der Religionsangehörigkeit scheint nebensächlich – Hauptsache man glaubt an etwas, das größer als man selbst ist.

 

Das Arbeitsleben

Die Réunion stellt die am meisten subventionierte Überseeinsel Frankreichs dar, was sich auch in der Infrastruktur wiederspiegelt. Überall werdet ihr Schilder mit ,,Projet en réalisation avec l’union européenne“ oder ,,Projet réalisée par la France“ oder durch Dritte wie zum Beispiel dem Rotary Club. Auch werden der Zuckerrohranbau und die -verwertung sehr gefördert und es wird versucht Arbeitsplätze zu schaffen. Von außen betrachtet funktioniert die Insel gut: man kommt überall mehr oder weniger pünktlich hin, man hat ein reiches Angebot an Freizeitaktivitäten und ständig ist irgendwo ein Konzert oder ein Stadtfest. Dennoch mangelt es vor allem an einem: an Arbeitsstellen. Nirgends sonst in Frankreich ist die Arbeitslosenquote mit 40% so hoch wie hier in der Réunion. Ihr werdet in eurer Zeit auf der Insel mit vielen Arbeitslosen in Kontakt kommen und merken, dass die wenigsten sich diesen Zustand ausgesucht haben und der Frust tief sitzt.

Das Krankenhaus in Saint-Pierre wird gerade renoviert und besitzt momentan zugleich moderne als auch veraltete Züge. Insbesondere in Sachen Hygiene war das ab und zu etwas befremdlich (jedoch gilt, dass alles zu besorgen ist, wenn jemand danach fragt). Die Akten werden handschriftlich geführt und für die Visite sind die Laborwerte nicht direkt bei Hand. Ich habe mich persönlich in meinem Tertial der Inneren Medizin sehr über die Gelegenheit gefreut, nicht einen Textbaustein nach dem anderen in die Akte einzuschleusen, sondern mal selbst Anamnese und Befunde einzutragen. Die Aufnahmen durfte ich nach ein paar ,,Probetagen“ mit anschließender Kontrolle selbst durchführen. Auch war hier somit kein Raum für Langeweile, bis man gegen Mittag oder spätestens nach dem Mittagessen nach Hause geschickt wurde. Das Know-how der in der ,,Métropole“ ausgebildeten Ärzte ist sehr gut und fachlich steht die Réunion Deutschland in keiner Weise nach. Innere kann ich empfehlen, ihr könnt hier auch frei rotieren (ihr müsst nur fragen!). Besonders Kardiologie, Endokrinologie und Pneumologie haben sich gelohnt. Gastroenterologie würde ich eher weniger empfehlen. Laut Kommilitonen ist die Unfallchirurgie/Orthopädie zu empfehlen, wobei die Allgemeinchirurgie nicht so gut abschnitt. Teilweise waren die Erfahrungen aber auch sehr davon geprägt, wie gut man sich in der Sprache zurechtfindet. Daher: einfach hingehen und bei schlechten Erfahrungen nicht zögern zu wechseln! Es findet sich aber auch immer ein Arzt der Englisch spricht und nett sind eh alle. Einige von uns wurden auch von Seiten der Ärzte zu einem Essen im Restaurant oder einer Dinner Party eingeladen. Die Prof. Iacobelli ist übrigens eine sehr engagierte, wenn auch anfangs auf mich etwas streng wirkende, Ansprechpartnerin.

Die Aktivitäten

Wandern. Wandern. Wandern.

Die Réunion zählt als Wanderparadis des Indischen Ozeans und dem kann ich nur beipflichten. Besorgt euch den Rother Wanderführer und ihr habt das perfekte Tool bei Hand. Zusätzlich  ist es bestimmt nicht schlecht noch einen Reisefüherer für weitere Infos bei Hand zu haben.

Wale kann man von September bis Mitte Oktober beobachten und sogar mit ihnen schwimmen gehen. Unvergessliches Erlebnis – wenn auch die Motorboote zu dieser Zeit das Meer überschwemmen und der Respekt vor den Tieren fraglich ist. Da die Wale so nah am Strand schwimmen und spielen, kann man auch vom Strand aus (vom Trou d’Eau bis ans nördliche Ende des Hermittage) wunderbar die Wale besonders gegen Sonnenuntergang beobachten.

Wassersport ist auch ganz groß auf Réunon. Tauchen ist eins der Highlights. Hier braucht man auch wenig bis keine Angst vor den Bullenhaien zu haben. Diese greifen in der Regel nur Bodyboarder und Wellenreiter an. Diese Sportarten haben wir deswegen auch vermieden. Wer dennoch nicht aufs Board verzichten will, kann sich aber beim Kite-Surfen austoben. Hier sollte man nur etwas Erfahrung (2-3 wöchiger Kurs) an den Tag legen. Kite-Surf-Anfänger sollten sich eher mit Mauritius beschäftigen.

Pick-nick. Niemand, wirklich NIEMAND picknickt so gerne wie der Réunionnaise! Besonders am Sonntag könnt oder werdet ihr Zeuge mehrerer Strand-Festgelage werden. Man hat den Eindruck als käme hier die ganze Familie mit 2.- und 3.-gradiger Verwandschaft zusammen und zelebrieren gemeinsam das ausgiebige Schmausen. Während die Touristen in der Sonne auf dem Sand brutzeln, feiern die Einheimischen im Schatten der Palmen und Bäume in Begleitung von typisch réunionnaisischer Musik ihre Zusammenkunft. Ein herrliches Spektakel.

Feiern, Essen und Tanzen. In Saint-Pierre haben mir das Le Before, das Downtown, das ti boui boui, La Bodega, La Baie des Anges und generell die Strandpromenade sehr gut gefallen. Auf der Homepage der Stadt könnt ihr nach Events wie zum Beispiel Festivals oder Stadtfeste Ausschau halten. Jeden Sonntag abend ab ca 19 Uhr warten coole Vibes und leckeres Essen in Saint-Leu auf euch.

Grand Raid im Oktober. Für die allerheftigsten aller Sportler wartet hier DIE Herausforderung auf euch. Der Grand Raid ist ein 165 km langer Lauf über stolze 3.000 Höhenmeter. Der schnellste Läufer schafft den Lauf in rund 23 Stunden. Die meisten brauchen etwa 2 bis 3 Tage für den Lauf. Für Amateure gibt es auch abgespeckte Versionen mit zum Beispiel 65 km. Früh Anmelden ist unabdingbar. À la bonne heure!

Die Kultur

Liberté, Égalité et Fraternité!
In der Réunion werdet ihr diese Wörter in der Mentalität wiederfinden. Ihr werdet nicht drumrum kommen, Menschen kennenzulernen und euch auszutauschen.

Musikalisch sticht die Réunion mit romantischen Schmuselidern aber auch Jazz und Raggae hervor. Geht nach St.-Leu am Sonntagabend oder wagt euch in einen der 2 Plattenläden in St.-Pierre rein – es lohnt sich.

Das Essen besteht prinzipiell aus Bohnen und Reis mit entweder Fisch- oder Fleischragout. Das Cari und das Rugail findet sich in meheren Varianten wieder. Man kriegt es überall. Einfach ausprobieren. Auch die indische und die westliche Küche ist in Saint-Pierre repräsentiert. Wer selber kochen will, sollte bei einem der vielen Légumiers einkaufen. Hier kriegt ihr frisches Obst und Gemüse zu günstigen Preisen. Fleisch und Käse (bis auf ein paar inländisch produziere Käsesorten) sind dagegen sehr teuer. Fisch war erstaunlicherweise sehr schwer zu ergattern. Es gibt insgesamt 3 Poisonneries am südlichen Ende von Saint-Pierre, welche nur öffnen, wenn denn auch was gefischt wurde. Besonders Tun- und Schwertfisch werdet ihr hier häufiger zu äußerst günstigen Preisen finden.

Qizomba ist DIE Tanzart der Insel und besticht durch eng aneinander geschmiegte langsame Bewegungen. Einfach mal ins Before unter der Woche gehen.

Die Geschichte

Die Geschichte der Ile Bourbon ist überall. Sie wird mit Stolz erzählt und man muss in der Regel keine Angst haben ein unangenehmes Thema angeschnitten zu haben. Es lohnt sich, sich eingehender mit der Sklavenvergangenheit und Freiheitsbewegung der Insel auseinanderzusetzen.  Auf der Insel gibt es heutzutage keinen Unterschied zwischen Hautfarben, Reichtum oder Religionsangehörigkeit – unserer Erfahrung nach wird beispielhaft mit dieser schwierigen Vergangenheit umgegangen.

Die Natur

Lasst euch bezaubern. Ihr werdet Tiere sehen, die es nirgends sonst gibt und eine reiche Pflanzenwelt erleben. Am Besten einen guten Reiseführer besorgen und sich durch die Natur führen lassen. 200 Mikroklimata machen die Insel zu einem Naturspektakel. Scheut euch nicht bis zum Piton de Neiges, dem höchsten Berg zu wandern, und in einer Rundumsicht die Grenzen der Insel zu sehen. Subtropischer Regenwald, Vulkanlandschaft, saftige grüne Berge und palmenbestückte Strände sind zu entdecken.

Fazit

Arbeiten wird auf dieser Insel nicht sehr groß geschrieben. Ihr werdet wahrscheinlich etwas weniger arbeiten als in Deutschland und daher fachlich auch etwas weniger mitnehmen, weshalb ich euch raten würde, das Tertial zu splitten. Sprachlich kommt ihr nicht umhin, Französisch zu reden und auch werdet ihr sehr viel Gelegenheit haben, mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. Wer Spaß am Wandern hat und ein Frankreich mit karibischem Klima und Flair ohne das träge Chaos der Antillen erleben will, ist hier genau richtig.

9 Gedanken zu „PJ in Saint-Pierre auf der Ile de la Réunion- so lässt es sich leben!

  1. Hallo,
    ein sehr schöner Bericht, der definitiv Lust auf ein PJ in der Ferne macht..
    Habt ihr zufällig Kontaktdaten von euren Vermietern? Oder kennt ihr eine Gruppe (z.B. bei Facebook), in der man andere Studenten finden kann, die auch nach La Réunion reisen?
    Vielen Dank im Voraus und liebe Grüße,
    Annika

        1. Hallo France,

          Kannst du mir bitte auch Tipps zur Unterkunftsuche geben? Ich mache im September eine Famulatur in St.Pierre und suche noch nach einem Zimmer… viele Grüße, Hannah

  2. Hi France,
    ich würde mich mega über ein paar Tipps zur Unterkunft freuen, ich mache auch im September einen Teil meines PJs in St. Pierre.
    Viele Grüße,
    Jasmin

  3. Hi France,
    würdest du sagen, man kann auch gut alleine nach La Reunion gehen- gab es da eine Community, wo man Anschluss finden konnte?

  4. Hallo France,

    du schreibst, dass man bei schlechten Erfahrungen zB in der Allgemeinchirurgie im Zweifel wechseln soll. Ist denn ein Wechsel zB in die Unfallchirurgie möglich oder wird sich da strikt an das Procedere gehalten?

  5. lieber die nachbarinsel mauritius besuchen..hat uns wesentlich besser gefallen….auf la reunion ist dauerstau auf den strassen, da da fast niemand arbeitet…supermaerkte tag und nacht voll…wenig exotisch, man fuehlt sich wie in deutschland (allerdings alles 3 mal so teuer), nur die umgebung ist gruener…..

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