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Münster (ja)
Prof. Dr. Karin Böllert<address>© Agentur Bildschön</address>
Prof. Dr. Karin Böllert
© Agentur Bildschön

"Kirchen leisten unverzichtbaren Anteil in der Wohlfahrtspflege"

Interview mit Kongressleiterin Prof. Karin Böllert

Bei der interdisziplinären Konferenz "Religion. Wohlfahrtserbringung. Soziale Arbeit." am 26. und 27. November an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) möchten Soziologen, Theologen, Historiker und Erziehungswissenschaftler den Stand der Forschung zum Verhältnis von Religion und Wohlfahrt systematisieren. Zudem will die Tagung neue Perspektiven im Spannungsfeld von Säkularisierung der Wohlfahrtserbringung versus religiöser Pluralität sozialer Dienstleister aufzeigen. Juliane Albrecht befragte Kongressleiterin Prof. Dr. Karin Böllert vom Institut für Erziehungswissenschaft:

Warum ist die Bedeutung von Religion für die Wohlfahrtserbringungen so wichtig?

Die christlichen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände leisten einen wesentlichen, unverzichtbaren Anteil der Wohlfahrtserbringung, etwa als Dienstleister in der Versorgung bedürftiger Menschen. Dies geschieht unabhängig von der Glaubenszugehörigkeit der Adressaten der  sozialen Arbeit. Caritas und Diakonie sind große Arbeitgeber in Deutschland. Konfessionelle Träger stellen immer stärker auch für solche Fachkräfte einen Arbeitsmarkt dar, die nicht oder anders religiös gebunden sind. Auch wenn die Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung bei konfessionellen Arbeitgebern an Bedeutung verloren hat, haben konfessionelle Träger als Repräsentanten religiöser Werte nach wie vor eine große Bedeutung – sowohl in der Außenwahrnehmung als auch im Binnenverhältnis gegenüber Mitarbeitern und den Adressaten ihrer Arbeit.

Warum ist dies gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Flüchtlingsentwicklung, die neben Christen auch viele muslimische Gläubige ins Land bringt, eine Öffnung auch für diese Milieus im Wohlfahrtszusammenhang so wichtig?


Bereits vor dem Anstieg der Flüchtlingszahlen bildeten die islamische Bevölkerung und öffentliche Organisationsformen des Islam in Deutschland einen lebhaften Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses, zum Beispiel hinsichtlich der Frage nach einem islamischen Wohlfahrtsverband. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und pluraler Sozialstaat macht eine Beteiligung islamischer Milieus an diesem Diskurs unabdingbar. Prominentes Beispiel sind migrantisch-religiöse Organisationsformen, welche neben religiösen auch soziale Angebote für ihre Mitglieder vorhalten. Diese Gruppen werden bislang nicht hinreichend als wohlfahrtsstaatliche Akteure wahrgenommen.

Was ist mit dem im Tagungsprogramm erwähnten Spannungsfeld „Säkularisierung versus Bedeutungsgewinn“ gemeint?

Der häufig verwendete Begriff der Säkularisierung wird im alltäglichen Sprachgebrauch zumeist mit einem Bedeutungsverlust von Religionen verbunden. Nach unserem Verständnis bezeichnet Säkularisierung jedoch lediglich einen Rückgang der Bedeutung traditioneller und institutionalisierter Religiosität wie beispielsweise die Mitgliedschaft in einer Kirche. Gleichzeitig beobachten wir Prozesse einer Pluralisierung von gelebter Religiosität in der Bevölkerung. Zudem: Für nicht wenige, die sich zur Zeit in großer Zahl ehrenamtlich engagieren, dürfte die eigene religiöse Bindung eine wichtige Grundlage des Engagements sein. Zur Legitimation von Abschottung und Ausgrenzung taugt Religion auf keinen Fall.

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