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Münster (upm/jn)
Selbst Artistin und Doktorandin an der WWU: Franziska Trapp versammelte Wissenschaftler aus 15 Ländern zum wissenschaftlichen Austausch im Zirkuszelt.<address>© Christian Trick / me@ctrick.de</address>
Selbst Artistin und Doktorandin an der WWU: Franziska Trapp versammelte Wissenschaftler aus 15 Ländern zum wissenschaftlichen Austausch im Zirkuszelt.
© Christian Trick / me@ctrick.de

Die Erforschung der Manege

Internationale Zirkusforscher kommen zu erster deutscher Tagung nach Münster

Im Halbdunkel teilt sich der Vorhang, goldenes Licht scheint aus dem Inneren des Zelts. In der Mitte der Manege, angestrahlt von Scheinwerfern, steht jedoch kein Clown und auch kein Jongleur. Eine junge Frau sitzt an einem Tisch, in ihrem Rücken ist eine Power-Point-Präsentation an eine Leinwand geworfen. Auf den Rängen rund um die Manege sitzen rund dreißig Zuhörer, sie lauschen gespannt. Die Rednerin ist Kulturwissenschaftlerin aus Berlin. "Auch, wenn im Kunststück die 'zersägte Jungfrau' scheinbar verletzt wird, ist die Nummer eigentlich im Zusammenhang mit der weiblichen Emanzipierung der 20-er Jahre zu sehen", sagt sie und ein gespanntes Raunen geht durch das Publikum.

Die Universität Münster hat für drei Tage 65 Wissenschaftler und Artisten in ein Zirkuszelt geladen. Wo sonst Zuschauer den Akrobaten zujubeln, haben sich Experten aus 15 Ländern versammelt, um sich über das Thema Zirkus auszutauschen. Die Veranstaltung klingt außergewöhnlich und das ist auch der Fall: Die englischsprachige Tagung "Semiotics of the Circus" ist die erste ihrer Art in Deutschland und die größte in dieser Form weltweit. Die Zirkuswissenschaft ist zudem noch eine recht junge Disziplin und nur eine Handvoll Forscher haben den Zirkus als Forschungsschwerpunkt gewählt.

Münsters erste und einzige Zirkuswissenschaftlerin

Ein Porträt eine jungen blonden Frau<address>© privat</address>
Franziska Trapp
© privat
Franziska Trapp ist nicht nur eine von ihnen. Die blonde Frau mit Hut, die durch die Tagung führt, ist auch die erste und einzige Zirkuswissenschaftlerin der Universität Münster. Die Tagung und der Veranstaltungsort Zirkuszelt waren die Idee der Doktorandin. Aus allen Fachrichtungen sind die Wissenschaftler Franziska Trapps Einladung in das Zirkuszelt des Cirque Bouffon gefolgt, der zurzeit vor dem münsterschen Schloss gastiert.

Der interdisziplinäre Austausch ist an diesen Tagen groß. Kulturhistoriker, Theaterwissenschaftler und Germanisten sie alle beschäftigen sich mit dem Phänomen Zirkus aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dabei geht es längst nicht mehr nur um den idealtypischen Zirkus aus der Kindheitserinnerung mit Raubtieren, Trapezkünstlern und Clowns, sondern um eine neue Form des Zirkus, den "Nouveau Cirque".

Diese neuen Zirkuskompanien verzichten auf Wildtiere, sie setzen auf Artistik und Akrobatik und rekrutieren sich nicht mehr aus Zirkusfamilien, sondern bestehen aus Berufsartisten, die ihre Ausbildung an speziellen Schulen absolviert haben. Auch das altbekannte Zelt ist nicht mehr zwingend notwendig, denkt man an Shows des Cirque du Soleil, der auf Bühnen auftritt.

Dieses neue Genre entstand in den 70-er Jahren mit der Krise des klassischen Zirkus. Damals gerieten die Zirkusaufführungen mit immer spektakuläreren und waghalsigeren Nummern aus der Mode. Gründe dafür waren der Zeitgeist der 68er-Bewegung, die hohe Konkurrenz durch alternative Unterhaltungsquellen wie dem Fernsehen und die erstarkte Tierschutzbewegung. Das war die Geburtsstunde des "Nouveau Cirque" und der Artisten-Schulen.

"Im 'Nouveau Cirque' wird durch die Artistik erzählt und Elemente verwendet, wie man sie vom Theater kennt. Er scheut sich auch nicht, gesellschaftskritische Themen darzustellen", erklärt Franziska Trapp, die sich in ihrer Doktorarbeit an der Graduate School of Literature mit den unterschiedlichen Erzähltechniken des Zirkus auseinandersetzt. Sie möchte herausfinden, durch welche Ästhetik sich dieses neue Zirkus-Genre auszeichnet.

Ein Mann stemmt eine Frau auf den Händen in die Luft.<address>© Christian Trick / me@ctrick.de</address>
Das schwedische Akrobatenpärchen präsentierte seinen Trainingsprozess auf der Tagung vor rund 65 Wissenschaftlern und Experten.
© Christian Trick / me@ctrick.de
Von der Tagung erhofft sie sich einen Anstoß, um den wissenschaftlichen Austausch in Deutschland aber auch international zu beflügeln. "Generell steckt die Disziplin noch in den Kinderschuhen. In Frankreich beispielsweise, dem Geburtsort des 'Nouveau Cirque', und Schweden ist die Zirkusforschung zwar etablierter als in Deutschland. Allerdings haben die Wissenschaftler bisher wenig Überblick, was ihre Kollegen in anderen Ländern beschäftigt", sagt Franziska Trapp.

Wissenschaft im Handstand

Die Schweden sorgten auf der wissenschaftlichen Tagung doch noch dafür, dass es im Zirkuszelt artistisch wurde. Die University of Arts und die University of Dance and Circus in Stockholm kooperieren seit einigen Jahren miteinander, um den Austausch zwischen Forschung und Praxis zu fördern. Das Ergebnis ist eine ungewöhnliche Mischung aus Vortrag und artistischer Darbietung: Das Akrobatenpärchen Louise von Euler Bjurnholm und Henrik Agger präsentierten ihren Trainingsprozess, und Prof. Dr. Camilla Damkjaer, Wissenschaftlerin und ebenfalls Gleichgewichtskünstlerin, verband ihren wissenschaftlichen Vortrag mit anschaulichen Beispielen und vollführte selbst Handstände.

Allerdings ist die enge Verbindung von Wissenschaft und Praxis in der noch jungen Disziplin nicht ungewöhnlich. Es fanden sich nicht nur viele Artisten unter den Tagungsteilnehmern, Franziska Trapp selbst ist seit Kindertagen in der Zirkuswelt unterwegs. Neben ihrer Forschung ist sie in die Regie und Produktion von Zirkusprogrammen involviert. "Diese neue Zirkusgeneration setzt sich damit auseinander, was Zirkus eigentlich ausmacht und was es bedeutet, ein Artist zu sein." Mit dieser Tagung, ist sich Franziska Trapp sicher, ist der erste Grundstein für ein Netzwerk der Zirkuswissenschaft gelegt.

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